Serdar Somuncu - Der Hassprediger liest Bild

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Datum: 29.06.2009 | VÖ: 22.05.2009 | Herausgeber: WortArt | Kategorie: Kabarett & Komik

Dass Kabarettisten kritisch und gleichzeitig provokant sind, liegt ja schon in der Natur der Sache. Weil man vom Kabarett-Publikum jedoch meistens ein gewisses Grundniveau erwartet, ist es auch heute noch so, dass die Kabarett-Künstler sich zwar kritisch äußern, aber doch eine gehobene und gewählte Sprachauswahl verwenden. Die Etablierung der unsäglich gehypten Stand-Up-Comedy-Sparte in Deutschland hatte die Folge, dass die Grenzen zum Kabarett immer schwammiger wurden. Dies sorgte dafür, dass sich manche Künstler aus dem Kabarett-Fach von der Art ihrer Darbietung immer mehr an ihren Comedy-Kollegen orientierten, während Stand-Up-Künstler sich auch gerne vom klassischen Kabarett beeinflussen ließen. Klare Grenzen und Schubladen gibt es heute auf den Kleinkunstbühnen also kaum noch. Wenn man in diesem Bereich in der heutigen Zeit etwas kategorisieren möchte, muss man die Künstler individuell betrachten.

Diese Mischung an Stilen und satirischen und humoristischen Herangehensweisen hat die Folge, dass Künstler, egal in welche Sparte diese zuzuordnen sind, neue und außergewöhnliche Eigenheiten und die dazugehörigen Bühnenprogramme entwickeln. Ein besonders krasses Beispiel ist der Kabarettist Serdar Somuncu, der türkischer Herkunft ist und seine Laufbahn wie viele seiner Kollegen begonnen hat: Nach dem Studium der Schauspielkunst, Musik und Regie war er über Jahre hinweg als Schauspieler und Regisseur tätig, bevor er dann mit einem Paukenschlag seine Kabarett-Karriere begann. Er wagte es im Jahr 1996 mit der Lesung von Adolf Hitlers "Mein Kampf" einen Tabubruch zu begehen. Natürlich handelte es sich dabei nicht um eine reine Lesung " Somuncu kommentierte Textauszüge, die aus dem Zusammenhang heraus genommen wurden, und versuchte damit Widersprüche des Werkes aufzudecken.

Nachdem er über Jahre hinweg großen Erfolg mit dieser Lesung feierte, griff er mit der Sportpalastrede von Joseph Goebbels im Jahr 2000 ein ähnliches Thema auf, welches er ebenfalls sehr erfolgreich eine lange Zeit aufführte. Die Folge davon war, dass er immer wieder Probleme mit Rechtsextremisten bekam. Das ging unter anderem soweit, dass er aus Sicherheitsgründen während seiner Auftritte eine schusssichere Weste tragen musste.

In einem seiner jüngsten Bühnenprogramme hat Serdar Somuncu aus der jeweils tagesaktuellen und ihm bis dahin unbekannten BILD-Zeitung, respektive - bei Auftritten in Österreich " aus der Kronenzeitung, vorgelesen. Ein Mitschnitt davon wurde bei WortArt mittlerweile unter dem Titel "Der Hassprediger liest Bild" auf DVD veröffentlicht. Was dieses Bühnenprogramm besonders ausmacht, ist die forsche und rücksichtslose Herangehensweise von Somuncu. Er bricht während seiner Shows bewusst unzählige Tabus und versorgt das Publikum mit einem gewaltigen Rundumschlag, der keine Minderheiten auslässt. Serdar Somuncu beschreibt sich selbst als das Gegenstück zu Mario Barth. In dem Trailer-Video zu seiner DVD auf Amazon kündigt er sein Programm mit folgenden Worten an: "Schluss mit Comedy-Gesülze und altfettigem Kabarett-Gelaber". Und das ist genau das, was ihn von allen seinen Kollegen abhebt und was ich in meinem ersten Absatz auch allgemein schon formulierte. Somuncu ist ein Kabarettist, der auch auf dem Kabarett-Niveau anzusiedeln ist, jedoch einen Sprachduktus verwendet, der keine Grenzen kennt. Warum das so ist, erklärt er auch während seines Bühnenprogrammes: Als Deutscher mit türkischer Herkunft bedient er sich einfach der Sprache, mit der jeder Mensch konfrontiert wird, der sich noch im Integrationsstatus befindet. Außerdem gelingt es ihm, durch Schimpfwörter und Fäkalsprache sich leichter Gehör zu verschaffen und in drastischer Form viele Dinge einfach auf den Punkt zu bringen. Zarte Seelen sollten Serdar Somuncu jedoch mit Vorsicht genießen, denn das, was man geboten bekommt, ist knüppelharte und äußerst provokante Satire. Ob es Politiker sind, Juden, Schwule, Rechtsradikale, Türken oder Deutsche, bei ihm wird nichts ausgelassen.

Während er in der ersten Hälfte seines Programmes scheinbar spontan über alles und jeden ablästert und auch keinen Halt davor macht, einzelne Personen aus dem Publikum zu beleidigen, liest er in der zweiten Hälfte aus der Bild-Zeitung vor und kommentiert diese. Dabei versucht er immer wieder die Bild-Zeitung aus der Sicht eines typischen Bild-Zeitungs-Konsumenten zu lesen und deckt dadurch wunderbar die Struktur des Boulevard-Blattes auf. Dabei lässt es sich der "Hassprediger" natürlich nicht nehmen, weiterhin gegen alles und jeden zu wettern.

Auf der DVD zu dieser Lesung findet man das zweistündige Programm von Serdar Somuncu. Als Bonusmaterial gibt es einen Backstage-Clip, der leider nicht einmal zwei Minuten lang läuft. Ein Interview oder anderes Zusatzmaterial sucht man leider vergebens. Ebenso hätte dem zweistündigen Programm eine Kapitelauswahl gut getan, falls man einmal bei einem bestimmten Punkt auf der DVD einspringen möchte. Das Menü ist passend gestaltet.

Ein besonderes Extra ist dagegen die "Garantiert nicht sendefähige Bonus CD (unzensierte Fassung)", die dem Produkt beiliegt und noch einmal eine halbe Stunde lang geschnittenes Material zeigt, das in meinen Augen aber nicht viel krasser ist als das, was man auf der DVD zu sehen bekommt. Die beiden Discs sind in einer sehr edlen Digipack-Hülle untergebracht, die leider kein Beiheft, dafür aber neben der Inhaltsangabe auf der Rückseite der Hülle noch eine weitere Beschreibung und eine Kurzbiographie im Mittelteil beinhaltet.

Wenn man auf deftigen und rücksichtslosen Humor steht, kommt man an Serdar Somuncu einfach nicht vorbei. Wie kaum ein anderer Kabarettist schafft er es, gnadenlos auf den Punkt zu bringen, was sich andere nicht zu sagen trauen. Er bringt durch seine heftige Darbietung den Leuten viele Dinge auf einer harten aber ohne Frage effektiven Art und Weise näher. Dabei hat man niemals den Eindruck, dass der nötige Anspruch fehlt. Mit der DVD "Der Hassprediger liest Bild" hat jetzt jeder die Möglichkeit, sich dieses außergewöhnliche Bühnenprogramm mit nach Hause zu nehmen. Punktabzüge gibt es lediglich für die magere Ausstattung der DVD und die Tatsache, dass Serdar Somuncu aufgrund der Härte seiner Aussagen nicht für jeden zu empfehlen ist. (sk)

Wertung: 8 von 10 Punkten (8 von 10 Punkten)

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