Im Auftrag des Terrors

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Datum: 06.10.2009 | VÖ: 25.09.2009 | Herausgeber: Koch Media | Kategorie: Dokumentation

"Im Auftrag des Terrors" (Originaltitel: "L’avocat de terreur") entstand 2007 unter der Regie des französischen Filmemachers Barbet Schroeder. Die Dokumentation beschäftigt sich mit dem kontrovers diskutierten Leben des Anwaltes Jacques Vergès. Die deutsche Veröffentlichung dieses bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellten und mit dem Caesar ausgezeichneten Werk stellt die Koch Media GmbH zur Verfügung.

Jacques Vergès ist Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Kolonialreichbürgers. Auch er selbst wuchs in einer französischen Kolonie auf. Vergès studierte Jura und übernahm kurz nach Abschluss seines Studiums die Rechtsvertretung der algerischen Unabhängigkeitskämpfer. Aus seinem Engagement für die Ziele dieses Kampfes heraus entstand die Liebe zu der populären Unabhängigkeitskämpferin Djamila Bouhired, die er später heiratete. Aus dieser geschiedenen Ehe gingen zwei Kinder hervor. Auf die Bitte der neuen algerischen Regierung vertrat er die Interessen der Palästinenser, u.a. jener, die im Dezember 1968 den Anschlag auf die EL-AL-Maschine in Athen verübten. Seine Strategie, die auch schon in Algerien und in vielen folgenden Prozessen Einsatz fand, war die Verweigerung des Dialogs mit den Richtern. In den Jahren nach seinem mysteriösen Verschwinden in der ‘70ern vertrat er diverse brutale Diktatoren, Kriegsverbrecher und Terroristen, jüngst Slobodan Milosevic vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal. Er sympathisierte mit ihren Ideen und machte sich ihren Kampf innerhalb des Gerichtssaales und nach Gerüchten und Stasi-Akten auch außerhalb zur eigenen Sache.

Barbet Schroeder begibt sich mit dieser Dokumentation auf die Pfade dieses umstrittenen Rechtsanwaltes, namens Jacques Vergès. Er interviewt in chronologischer Reihenfolge Wegbegleiter Vergès’, im historisch Kontext relevante Personen und lässt Vergès oft selbst zu Wort kommen. Die erste Stunde des fast zweieinhalbstündigen Dokumentarfilms widmet er sich dem algerischen Unabhängigkeitskampf und zeichnet hier Motivationen, Vergès Beteiligung, Erfolge der Freiheitskämpfer und die Anfänge des blinden Terrorismus nach. Hierbei versucht er minutiös ein Bild des Mannes zu erschaffen, der darauf nach den Worten Schroeders mit Abstrichen zu einer perversen Karikatur seiner selbst geworden ist. In den Wirren der Entstehungszeit des internationalen Terrorismus mit Fadenzieher Waddi Haddad zeigt er auf, welche Terroristen dieser beauftragt hat und welche dann von Vergès verteidigt worden sind. Hier u.a. Anis Naccache, einer jener Terroristen, die am Anschlag auf die OPEC in Wien beteiligt waren, den er jedoch in anderer Sache vertreten hat. An diesem Anschlag hauptsächlich mitwirkend ist auch ein Terrorist namens Carlos gewesen, einer der Begründer des heutigen Erpressungsterrorismus. Aus dessen Gruppe hat Vergès u.a. die Deutsche Magdalena Kopp vertreten, zu der er eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut hat. Vergès streitet bis heute ab von Carlos selbst für die Verteidigung beauftragt worden zu sein oder diesen je getroffen, Geschweige denn für ihn Botengänge gemacht zu haben. Hier bringt Schroeder neben den Telefoninterviews mit Carlos und Interviews mit Historikern auch belastende Stasi-Akten ein, die Vergès’ Nicht-Beteiligung an dieser Gruppe in Frage stellen. Schroeder bemüht sich bei aller rhetorischer Gewandtheit der Hauptperson immer wieder durch historische Einstreuer oder Interviews das ambivalente Bild von Vergès zu halten. Eine engagierte, gepeinigte kolonialisierte Seele, die sich dem ständigen Kampf nach Freiheit und Unabhängigkeit verschrieben hat und dieses in seinen Verteidigungen für seine Mandanten als Motiv teilweise bis auf das "ußerste pervertiert. So geschehen bei Vertretung des Gestapo-Offizier Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon. Hier streut Barbet Schroeder als Randnotiz ein, dass Anwalt Oussedik gegenüber Francois Genoud, einem Schweizer Nazi, beschuldigter Finanzierer von Terrorgruppen und Freund von Vergès, die Bitte abschlug, Barbie zu vertreten, da es ein Verrat an den Motiven der algerischen Revolution wäre. Er empfahl, Vergès zu fragen. Diese Doppelzüngigkeit unterstreicht er mit der Rechtsvertretung von Moise Tschombé, einem kongolesischem Politiker und vermutlicher Mörder des kongolesischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba, den Vergès sehr verehrt hat. Hier wird Vergès vorgeworfen, für Geld gegen seine eigenen Ideale verstoßen zu haben. Auf die Frage, ob er Hitler verteidigen würde, entgegnete er, dass er selbst Bush verteidigen würde. Aber nur, wenn er sich schuldig bekenne.

Schroeder hat sich mit dieser Dokumentation einer ambitionierten, engagierten Herausforderung gestellt, die auf verstörende Weise die moralischen Eckpfeiler des Rechtes auslotet. Vergès schafft es hier meistens auf verdreherische und rhetorisch beeindruckende Weise, seinen Kopf mildernd aus der Schlinge zu ziehen, um aber zugleich in eine andere zu geraten. Die nicht zu überschreitende Grenze aus seinem Schlusswort scheint oft genug gefährlich touchiert. Schroeder gibt im, in den Extras enthaltenen Interview, zu, dass es dem intelligenten Vergès gelungen sein könnte, sich selbst in diesem Werk zu verteidigen. Könnte man Schroeder vorwerfen, dass dem Anwalt dies gelungen sei, so würde spätestens nach den Worten Schroeders im Interview der Film und Vergès’ Wirken unter einem anderen Licht erscheinen. Zu ehrlich und kritisch fällt Schroeders Urteil aus.
In diesem Interview wird ebenfalls klar, wie viel Gedanken sich Schroeder zu den Orten der Interviews, dem Setting und der musikalischen Untermalung der Produktion gemacht hat. Es war seine Absicht einen Spielfilm in einer Dokumentation zu schaffen. Die internationalen Kritiken sprechen ihm zu, dies geschafft zu haben.

Für mich war es schwer, dem interessanten Film in allen Einzelheiten zu folgen, da die meisten Ereignisse weit vor meiner Geburt geschahen und mir viele Personen vollkommen unbekannt waren. Die zweite Stunde der Dokumentation zog sich manchmal ungemein. Es war schwer, hier die gesamte Zeit konzentriert zu bleiben. Im Interview erwähnt Schroeder diesen Effekt, unterstreicht, dass dies bisweilen von ihm beabsichtigt war, dass die Verwirrung und Verstörung geschürt werden sollte, um die Perversität dieser Persönlichkeit herauszuarbeiten. Für mich persönlich funktioniert der Film nur zusammen mit dem Interview, welches informativ und unbedingt nötig, nicht aber so professionell wie die Dokumentation umgesetzt ist. Leider fehlen auf der DVD-Veröffentlichung auch die im Interview angedeuteten Plädoyers von Jacques Vergès, u.a. für Slobodan Milosevic. (ms)

Wertung: 6 von 10 Punkten (6 von 10 Punkten)

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