Braucht es noch Neues?

  • Seit über hundert Jahren werden nunmehr am laufenden Band Filme gedreht und Tonträger gepresst, deren Anzahl schier ins Unermessliche gewachsen ist.


    Wie sieht es die eher dem älteren "Kult" zugeneigte Leserschaft dieses Forums: Besteht überhaupt noch eine Notwendigkeit für neue Produktionen, oder ist der Bedarf endgültig gesättigt, der Markt dermaßen überlaufen und der bisherige Fundus so reichhaltig, dass man die Film- und Tonschmieden heute komplett einstellen und bis in alle Ewigkeit vom Vergangenen zehren kann? Wenn ja, warum ist das so?
    Könnt ihr aktuelle Erscheinungen ausmachen, die es vermögen, neue Maßstäbe zu setzen, mit Kreativität aufzuwarten und qualitativ an Altes heranzukommen oder zu übertrumpfen?
    Muss es immer ein neuer Streifen sein, der auf die Kinoleinwand projiziert wird, oder das brandaktuelle Album, das im CD- oder Plattenspieler rotiert?
    (Den Vorwurf, rhetorische Fragen zu stellen, weise ich entschieden von mir. *g*)

  • Ich finde das Thema sehr interessant. In den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden wurde auch viel "erschaffen", was oftmals wieder verloren ging, sodass immer Platz für Neues da war. Der Markt ist aber in allen Bereichen sehr überladen und außergewöhnlich neue Dinge kommen nur sehr selten auf. Ich finde aber, dass es immer weiter gehen sollte, die herausragende Sachen werden dann auch entsprechend ihren Platz in der Gesellschaft bekommen, der Mist verschwindet wieder recht schnell.


    Gerade bei so einem kulturellen Schatz hat man die Chance das alte zu nutzen um gute neue Sachen zu machen. Ich denke da nur an den Stummfilm der vor 1-2 Jahren so großen Erfolg feierte, oder die letzten Tarantino-Filme, die viel Zitate und Stilmittel aus alten Filmen besitzen. Auch ich bediene mich bei meinen Hörspielen Oftmals an alten Vorbildern und kreiere so etwas (hoffentlich) gutes neues. Geanu das ist die Möglichkeit, die daraus resultiert und die man nutzen sollte.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • In den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden wurde auch viel "erschaffen", was oftmals wieder verloren ging, sodass immer Platz für Neues da war.

    Nur war es anno dazumal nicht jedem Dahergelaufenen möglich, Bücher oder Musik zu schreiben. Unter den Wenigen, die das konnten, fand sich gewiss ein beträchtlicher Anteil an Hochbegabten und das Beste: sie wurden sogar gefördert. Dass es auch damals sowohl verkannte Genies als auch zu Unrecht, etwa durch Vetternwirtschaft hochgebrachte Taugenichtse gab, mag sein, ist aber nicht mit der Gegenwart vergleichbar.


    Mir ist die Haltung unverständlich, dass man Epochen als Zyklen auffasst, in der es immer irgendwo konstante Qualität gäbe. In dieser Denkweise trifft m.E. Gleichmacherei auf fehlende Achtung vor den Koryphäen.


    Der Zwiespalt besteht für mich darin, dass es selbstverständlich notwendig und wünschenswert ist, dass sich der Nachwuchs fortlaufend in Kunst & Kultur betätigt. Dann sieht man jedoch wieder, was dabei meist herauskommt und stellt ebendies infrage. Wäre ich Kunstschaffender, müsste ich ständig in der Gewissheit leben, niemals auch nur in die Nähe der Meisterwerke und nicht einmal an solide Handwerkskunst vergangener Jahrzehnte heran zu kommen.
    Es kommt mir so vor, als habe jemand vor einigen Jahren den Input-Stecker aus den meisten der kreativen Köpfe gezogen. Oder wir sind tatsächlich an einem Punkt angelangt, wo sich alles nur noch wiederholt und miteinander zu einem ungenießbaren Brei vermischt wird.
    Woran das liegt, lässt Raum für Spekulation. Elektronische Massenmedien und fehlgeleitete Fördermittel wären zwei Stichpunkte.


    Dazu passt ein Zitat von Detlef Fischer, das mir aus dem Herzen spricht:

    In manchen Gattungen, etwa der Klassischen Musik oder der Dichtkunst, kann wahre, zeitlose Kultur zum Glück stets gepflegt werden, weil man auf jahrhundertalte Niederschriften und Kompositionen zurückgreift. Neues ist dort nicht nur unnötig, sondern zumeist verpönt. Im Theater und im Kino sieht es anders aus, hier wäre es wahrscheinlich längst überfällig, sich wieder auf die Traditionen zu besinnen.

  • Ich bin schon der Meinung, dass die Hochkultur, die wir die letzten Jahrhunderte und Jahrtausende erlebt haben, in dieser Form am besten im Rahmen klassischer Lebensformen möglich ist. Also damit meine ich all das, was eben heute verloren geht: Tugenden, Respekt, dass nur bestimmte Schichten gefördert werden konnten - die dafür umso mehr trägt auch dazu bei (was nicht unbedingt positiv zu bewerten ist), aber auch so eine Art (muss ja nicht genau das sein) nationale Identität, weil nur so individuelle kulturelle Linien eingeschlagen werden können.


    Die Kunst war früher inspirierend, während sie heute nur noch auf Konsum ausgelegt ist. Heute schaut man Filme, Serien, belangloses, liest irgendwelche Romane, hört sich Musik nebenher an. Früher war Kunst erhebend und hat die Leute in Massen ergriffen und nach vorne gebracht. Die Tatsache, dass Kunst schwer zu bekommen war und deswegen etwas erstrebenswertes war, kommt sicher mit hinzu.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Ergänzung:


    - Früher hatten die leute weniger Ablenkung. Sie mussten zwar härter arbeiten und hatten auch härtere Lebensbedingungen, aber auch mehr Zeit. Wenn sie abens in der Stube saßen gabs kein Fernseher, da musste man sich Beschäftigen, und das machte man natürlich mit erbaulichen Dingen (bezogen auf die einfacherere Schicht - das kann man sicher in gleicher/ähnlicher form auch auf die Kunst-Relevanten Schichten übertragen)


    - Heute haben die Leute den Kopf nicht frei. Weil sie sich so leicht ablenken lassen können. Und weil man als Künstler erst einmal kein Geld verdient (außer in seltenen Ausnahmefällen). Die Schicht vor einigen hundert jahren, die die Künstler herausgebracht hat, war meistens recht wohlhabend. D.H. als talentierter Künstler konnte man sich dann recht früh komplett auf seine Kunst konzentrieren, ohne Existenzängste zu haben, ohne regelmäßig von "Ämtern" belästigt zu werden oder das Selbstbewusstsein genommen zu bekmomen, weil man ja "nichts ist". Da hatte man den Kopf wahrscheinlich auch frei


    - Und es war auch viel zu "holen" künstlerisch gesehen, weil es vieles nicht mehr gab, vieles nicht greifbar war (weil in fernen ländern, fernen bibilotheken), man also zwar Inspiration hatte, sich seine Kunst selbst holen musste. Und weil man noch nicht so überladen war von kultur und medien, konnte man sich frei entfalten.


    Was damals dagegen in vielen Fällen sicherlich destruktiv war: Die Kirche. Die hat viele "freidenker" usw. beschränkt in ihrem Tun. Sicher auch oft indirekt, also dadurch dass die Eltern gläubig waren haben sie druck ausgeübt, dass der Sohn was redliches tut.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Also damit meine ich all das, was eben heute verloren geht: Tugenden, Respekt, dass nur bestimmte Schichten gefördert werden konnten - die dafür umso mehr trägt auch dazu bei (was nicht unbedingt positiv zu bewerten ist), aber auch so eine Art (muss ja nicht genau das sein) nationale Identität, weil nur so individuelle kulturelle Linien eingeschlagen werden können.

    Ich bin eigentlich ein Freund des Subversiven, nur ist ab einem gewissen Punkt das Pendel sozusagen zu weit ausgeschlagen und mittlerweile ist wiederum dasjenige rebellisch, wogegen einst rebelliert wurde.
    Kulturelle Identität ist im Amerikanismus und in der Globalisierung nicht vorgesehen und darf es deshalb leider nicht mehr geben.

    Zitat

    Die Kunst war früher inspirierend, während sie heute nur noch auf Konsum ausgelegt ist.

    Das Schlimme ist: Ich beobachte das ja bei mir selbst. Teilweise muss ich mich dazu zwingen, noch diesen und jenen Film anzuschauen und bin schließlich froh, wenn er zu Ende ist.



    Deine ergänzenden Ausführungen liefern sehr plausible Erklärungen, danke!

    Zitat

    Und es war auch viel zu "holen" künstlerisch gesehen, weil es vieles nicht mehr gab, vieles nicht greifbar war (weil in fernen Ländern, fernen Bibliotheken), man also zwar Inspiration hatte, sich seine Kunst selbst holen musste. Und weil man noch nicht so überladen war von Kultur und Medien, konnte man sich frei entfalten.

    Das bedeutet letztlich, dass Kultur nur in einem abgeschotteten Raum Zukunft hätte.

    Zitat

    Was damals dagegen in vielen Fällen sicherlich destruktiv war: Die
    Kirche. Die hat viele "Freidenker" usw. beschränkt in ihrem Tun. Sicher
    auch oft indirekt, also dadurch dass die Eltern gläubig waren haben sie Druck ausgeübt, dass der Sohn was redliches tut.

    Man darf allerdings nicht verkennen, wieviel Ansporn und Energie diese Widerstände beim Freidenker erzeugten. Das fehlt heute ja völlig.

  • Nur um sicher zu gehen, dass es nicht übersehen wird: Ich hab noch einen zweiten Beitrag vorhin hier geschrieben.


    Meinst Du künstlerische Filme bei denen Du Dich quälen musst (da öde) oder kommerzielle Filme bei denen Du Dich quälen musst (da gruppenzwang bei Abenden mit Freunden oder dem Partner)?

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    Konfizius

  • Wenn ich mal in kommerzielle Filme ins Kino mitgeschleift wurde, bin ich meistens eingeschlafen. :)
    Nein, ich meine schon welche, die ich mir anschauen möchte, aber sie eher nach der Reihe "abarbeite". Vielleicht liegt das daran, dass ich mich nicht eingehend mit der Filmkultur beschäftige und mir somit wesentliche Elemente entgehen.

  • Ein nachdenkenswertes Thema. Ich brauche keine neuen Filme und Videospiele. Aber mit Filmen und Videospielen ist es wie mit klassischer Musik. Die Komponisten aus der Zeit wollten aller Welt schließlich zeigen, was sie so alles drauf haben. Und wenn jemand wirklich ein en neuen Film oder ein neues Spiel produziert, weil er einfach seine Kreativität zeigen will und NICHT weil er kommerziell ist, würde ich ihn auch gerne sofort unterstützen.
    Ich hoffe, das war noch einigermassen verständlich...

  • War verständlich. Aber ich glaube dass es mehr so ist, dass die Leute eine ungeheure kreative Kraft in sich hatten, die raus musste. So geht es zumindest bei mir was Kreativität und Kultur angeht. Ich kann einfach nicht anders. Und so dürfte es bei vielen sein, die auch richtig große Sachen erschaffen oder erschaffen haben.


    JTVR
    Das kann ich nachvollziehen. Ich versuche mir nur Filme anzuschauen, die mir etwas "geben" (bzw. von denen ich das erwarte), wenn ich mal alleine einen Film anschaue. und das passiert eigentlich nur wenn meine Frau im Wohnzimmer eingeschlafen ist und ich nicht in mein Büro kann ;) Im Büro schaue ich viel nebenher, aber das ist dann auch nur nebenehr und deshalb nicht würdig dem Produkt gegenüber (soweit es was gutes ist). Ich lasse mich aber gerne berieseln, um die Stimmung aufzusaugen, um meine kulturelle (Briefe und alte Handschriften auswerten aktuell) Tätigkeit anzuspornen.

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    Konfizius