Schuldfrage im ersten Weltkrieg

  • Zitat

    Weißt du eigentlich, in welches Land Deutschland zuerst einmarschiert ist?


    Spontan hätte ich gesagt Belgien, aber es war wohl Luxemburg. Aber was willst du mir damit sagen? Dass das Deutsche Reich damit den 1. Weltkrieg "angezettelt" hat? Ich glaube nicht, dass niemand einen ersten Schuss abgegeben hätte, wenn das Deutsche Reich nicht in Luxemburg einmarschiert wäre. Das Deutsche Reich war gezwungen zu handeln, da sowohl Frankreich und auch Russland aktiv war und der mehrfrontenkrieg vor der Tür stand und die eine einigermaßen gute Ausgangsposition in dem Konflikt Stunde für Stunde schlechter wurde. Der Einmarsch in Luxemburg war meines aktuellen Wissensstandes nicht rechtens und ist zu verurteilen (Belgien ist eine andere Geschichte, hier scheint es schon Jahre vorher Verhandlungen zwischen England und Belgien gegeben zu haben, dass die Engländer bei einem Kriegsfall gegen das Deutsche Reich durchmarschieren dürfen, somit wäre die Neutralität nicht mehr gegeben, aber da müsste ich auch nochmal genauer recherchieren für die Quellen. Hier kann man jedenfalls nachlesen, dass England wohl schon 1911 beschlossen hatte in einem eventuellen Kriegsfall im Bündnis mit Frankreich gegen das Deutsche Reich durch Belgien durchzumarschieren, unabhängig davon, ob Belgien zustimmen würde. Das macht den deutschen Einmarsch nicht besser. Aber das gleiche Problem gabs im 2. Weltkrieg ja auch mit Niederlande, Norwegen usw. Wären die Deutschen nicht einmarschiert, wären die Engländer einmarschiert - ich glaube England hat auch ohne Einwilligung im 2. Weltkrieg Island - wars Island? - besetzt.). Es geht mir hierbei nicht darum, das Deutsche Reich rein zu waschen und nichts negatives in dem Bezug zu akzeptieren. Mir geht es um eine objektive Betrachtungsweise. Und das was ich in der Tagesschau gestern gehört habe, war nicht objektiv.
    In Bezug auf den 1. Weltkrieg habe ich z.B. dieses interessante Dokument gefunden, aus der Sicht eines Industriellen, welches einen Aspekt des Krieges aufzeigt: http://geschriebene-geschichte…1914-1918-kriegsziele.htm
    Und ich habe einen Tagebucheintrag gefunden, der einerseits aufzeigt, dass es in Belgien sehrwohl Partisanentätigkeiten der Belgier gab (was heute gerne geleugnet wird), aber auch unglaublich grausame Reaktionen des deutschen Militärs, und ich lasse das Tagebuch nicht verschwinden oder verstecke es, sondern habe den Abschitt veröffentlicht, weil es (soweit die Eintragungen so stimmen) ein Teil der ganzen Wahrheit ist und die muss auch genannt werden: http://geschriebene-geschichte…4-1918-erschiessungen.htm

    Zitat

    Im Gegenteil - seine Bündnispolitik hat uns den Mist erst eingehandelt.


    Deine Wortwahl erinnert mich sehr an Schwanitz. Als dieser Wortlaut begann, habe ich aufgehört sein Buch "Bildung" zu lesen, weil für mich die Objektivität nicht mehr gegeben war. Seine Bündnispolitik hat über mehrere Jahrzehnte dafür gesorgt, dass das Deutsche Reich keinen Krieg geführt hat. Das war in der damaligen Zeit außergewöhnlich. Und die 1880er bis 1910er Jahre waren nicht die Jahre des Weltfriedens.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Ich muss zugeben, dass ich mich noch nicht richtig in eure Diskussion eingelesen habe, aber ich muss natürlich trotzdem meinen Senf dazu abgeben :D Der Grund ist der, dass ich das Thema Erster Weltkrieg gerade heute für hochaktuell halte!


    Ist es nicht so, dass die Schuldfrage am Ersten Weltkrieg sowieso erst an zweiter Stelle kommt und im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg letzten Endes gar nicht so einfach zu beantworten ist. Wenn ich Kommentare zu diesem Thema lese, liegt das Problem vor allem darin, dass man Schritt für Schritt sehenden Auges in einen Krieg marschiert ist, den alle späteren Beteilligten als eine Art reinigendes Gewitter erwartet haben und dass es erst während des Kriegs selber ein Erwachen gab, als man sich dessen Dimensionen plötzlich bewusst wurde?


    Dabei mag auf deutscher Seite German Angst eine große Rolle gespielt haben, also die Angst vor einer Bedrohung von außen, die letzten Endes auf den Dreißigjährigen Krieg zurück geht und so heutzutage nicht mehr aktuell ist, aber dass sich ganz andere Szenarien mit einer letzten Endes vergleichbaren Dynamik durchaus wiederholen könnten, was aber niemand bemerkt oder bemerken will, weil der Erste Weltkrieg so stark vom Zweiten Weltkrieg überdeckt ist.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Vielen Dank für Deine Anmerkung Conrad. Ja das ist wahr, der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist deutlich komplizierter zu beurteilen als die Vorgänge, die zum 2. WEltkrieg führten. Die waren auch langwierig und komplex, der Vorlauf des ersten Weltkrieges ist nicht schlechter Dokumentiert als das, was dem 2. Weltkrieg voraus ging, es ist aber deutlich schwerer zu fassen. Und dann kann man das auch stets aus verschiedener Sichtweise sehen, es kurz und einfach fassen oder z.B. größere Entwicklungen und Einflüsse mit in die Betrachtung mit rein nehmen usw. Alles eben nicht so einfach.


    Zitat

    Wenn ich Kommentare zu diesem Thema lese, liegt das Problem vor allem darin, dass man Schritt für Schritt sehenden Auges in einen Krieg marschiert ist, den alle späteren Beteilligten als eine Art reinigendes Gewitter erwartet haben und dass es erst während des Kriegs selber ein Erwachen gab, als man sich dessen Dimensionen plötzlich bewusst wurde?


    Dem stimme ich soweit zu. Wobei es schon auch überall Leute gab, die sich bemüht haben, den Krieg zu verhindern oder zumindest im kleineren Rahmen ablaufen zu lassen. Das mit dem Reinigenden Gewitter hört man aber oft, dass so ein Krieg irgendwie in der Luft hing, viele so einen Krieg herbeisehnten oder erahnten. Man manchmal das Bewusstsein hatte, dass die Moderne den Krieg viel grausamer gestalten lassen würde wie bisher (es gibt ja auch den Roman "Das Schlachthaus" oder wie er heisst - hab ihn hier irgendwo stehen weil ich ihn in einem Nachlass gefunden habe und zum Verkauf anbiete, der wurde glaube ich 1912 oder 1913 geschrieben und beschreibt genau so eine Art des Krieges), oft den Krieg aber romantisierte, da man Kriege nur so kannte, wie sie noch bis 1870/71 stattgefunden haben und anders als es in unserer Generation der Fall ist, keine oder nur wenige Zeitzeugen aus den Kriege hatte (die Truppenstärke war ja auch eine ganz andere, da hatte man nicht in jeder Familie Gefallene der letzten Kriege im Stammbaum oder noch lebende zeitzeugen die von den Grausamkeiten des Krieges erzählen konnte).


    Zitat

    aber dass sich ganz andere Szenarien mit einer letzten Endes vergleichbaren Dynamik durchaus wiederholen könnten, was aber niemand bemerkt oder bemerken will, weil der Erste Weltkrieg so stark vom Zweiten Weltkrieg überdeckt ist.


    Dass sich so etwas wiederholen könnte, sehe ich acuh so. Nicht umsont lagern in meinen Büros und Wohnungen viel Trinkwasser und Essen in Dosen für alle Fälle. Wobei ich seit der Wahl von Trump ruhiger geworden bin, da sich die Russlandgeschichte ein wenig beruhigt hat, wobei die China/Nordkorea-Thematik natürlich nicht zu unterschätzen ist. Und auch sonst die Weltlage, die Krisen, die zuspitzenden Situationen. Und ich kann nicht verstehen, dass so viele diese Gefahr nicht wahrhaben wollen - wie Du schon sagst, der 2. Weltkrieg überdeckt den 1. Weltkrieg (der von der Ausgangspotision unserer Zeit viel näher kommt) und viele bilden sich ein, dass die "Mächtigen" aus den Kriegen gelernt hätten und so etwas nicht mehr zulassen würden. Was in mancher Hinsicht stimmt, heute werden bevorzugt stellvertreterkriege geführt, was aber nicht heisst, dass es schnell zu einem neuen großen Krieg kommen kann. Die kritischte Phase war für mich als Obama die "rote Linie" überschritten sah, als in Syrien verbotene Waffen genutzt wurden. Hätte sich die Situation nicht beruhigt hätte eine Kettenreaktion in Gang kommen können. Genauso die Konflikte zwischen Russland und Türkei. Aber auch das ist ein weites weites Feld, dem man auch nicht so einfach in ein paar Worten gerecht werden kann. Es spielen eben unendlich viele Faktoren, historische Zusammenhänge (die in manchen Fällen weit weit zurück führen - Du hast nicht umsonst den 30jährigen Krieg erwähnt), Machtfragen usw. mit rein.

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    Konfizius

  • Klar waren es Beistandsbündnisse, mit denen wurde aber in erster Linie ein Frieden gesichert.


    Tja, das Sichern des Friedens hat ja dann auch wunderbar geklappt. :rolleyes: Tatsache ist, dass Serbien am Mord an den Kronprinzen nicht beteiligt war. Österreich-Ungarn wusste das, hat aber einen Vorwand gesucht, Krieg führen zu dürfen. Nicht mal der alte Kaiser wollte ihn, aber die Generalität hat ihn gewollt und den greisen Monarchen überredet. Er soll noch nicht einmal unglücklich darüber gewesen sein, dass der Kronprinz tot war, hatte er doch nicht standesgemäß geheiratet. Des Kaisers größte Sorge soll gewesen sein, dass seine Enkel einmal den österreichischen Thron besteigen würden. Diese Sorge war nun erledigt.


    Das waren sicherlich keine Kriege wie heute, aber die Deutschen setzten seinerzeit schon Giftgas in Frankreich ein.

  • Ja natürlich hat das mit dem Frieden wunderbar geklappt. Das waren die damals gängigen Stabilitätsgaranten und ich hatte ja schon erwähnt, welch lange Friedenszeit das gebracht hatte für das Deutsche Reich. Ein Frieden auf Ewig gab es damals nicht, leider heute auch noch nicht. Und leider mussten die Menschen wohl durch so einen schlimmen Krieg (und dann noch einmal durch einen zweiten, wir hoffen adss es dabei bleibt) durch, um die extremen schrecklichen Ausmaße die ein Krieg möglich macht zu begreifen, und ihn so nicht mehr als legitimes Mittel zur Durchsetzung von politischen Interessen zu begreifen (was heute zum Teil ja leider noch immer der Fall ist) und um Kriege zu ächten. Umso wichtiger ist es, dass man die Grausamkeiten des Krieges auch den nachkommenden Generationen stets vor Augen hält.


    Bzgl. den Mord am Kronprinzen gibt es auch wieder viele Eckpunkte, die ich nicht alle Überblicke. Aber hinter dem Attentäter stand wohl ein extremistisches Bündnis bzw. er gehörte dazu. Auch hat Russland schon länger die nationalistischen Bestrebungen in Serbien gefördert. Aber da bin ich nicht tief genug im Thema drin. Und kann da nicht sagen ob Russland und/oder Serbien aktiv oder nicht aktiv das Attentat gefördert hat. Fakt ist, dass da auch mehr dahinter steckt als einfach ein Attentäter, sondern wieder eine Vorgeschichte, geschichtliche Entwicklungen, Machtbestrebungen, Einflussnahmen usw (Natürlich auch von Österreich-Ungarn). Was ich wieder besser auf dem Schirm habe, ist, dass Serbien nicht gerade kooperativ gehandelt hat, was die Aufklärung des Attentates angeht (mit dem Wissen, Russland im Rücken zu haben - ähnlich wie auch später Polen mit England im Rücken 1939 dann die Verhandlungen geführt hat). Das hat Österreich-Ungarn nach dem äußerlichen (ich nenns mal "äußerlichen Gesichtsverlust" Du schreibst ja, dass der Mord Franz Joseph ganz recht war - dazu kann ich nichts sagen) Gesichtsverlust dazu genötigt, zu handeln.
    In dem Zusammenhang ist interessant, dass Kaiserin Zita von Österreich später in einem Interview erzählt hat, dass ihr Onkel, der Kronprinz, schon Monate vor dem Attentat davon gesprochen hat, dass er in wenigen Monaten ermordet werden würde. Aber das reisst Fragen und Eckpunkte auf, die hier den Rahmen wohl sprengen würden, gerade auch aufgrund der fehlenden Quellen und Informationen. Und auch das zeigt wieder, wie Komplex die Sachlage ist undman es nicht einfach so einfach runtereissen kann, wie es manchmal gemacht wird.

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    Konfizius

  • Ja natürlich hat das mit dem Frieden wunderbar geklappt.


    Glaubst du das ehrlich? Dann solltest du wissen, dass das Bündnis ein Geheimbündnis war. Allein hätte sich das unentschlossene Österreich kaum zu einem Krieg durchringen können. Wenn man den Wikipedia-Artikel liest, könnte man sogar zum Schluss kommen, dass Österreich-Ungarn selbst hinter dem Attentat steckte, was ich aber nicht glaube. Doch es war willkommener Anlass. Außenminister Berchtold wird mit den Worten zitiert:


    Zitat

    „Wie immer die Serben reagieren – Sie müssen die Beziehungen abbrechen und abreisen; es muss zum Krieg kommen."


    Und:


    Zitat

    „Einig war man darüber, die Begehrnote an Serbien zum frühestmöglichen Zeitpunkt abzusenden und sie so zu redigieren, dass sie von Belgrad abgelehnt werden musste."


    Damit war das Ultimatum gemeint. Serbien stimmte dem zwar zu, aber in einem Punkt lehnte es ab: dass österreichische Behörden selbst die Verfolgung der Attentäter und ihrer Hintermänner übernehmen sollte, weil es serbischen Gesetzen widersprach. Doch selbst für den Fall der Annahme des Ultimatums war schon alles vorbereitet, die Antwort Serbiens zu "manipulieren." Deutschland gab für all das grünes Licht.


    Serbien hat alle Beteiligten (bis auf einen, der fliehen konnte) vor Gericht gestellt und verurteilt. Es hat also nichts zu vertuschen versucht.


    Wenn sich jetzt noch einmal die Frage nach der Alleinschuld stellt, so denke ich, dass es keine Alleinschuld gibt. Warum hat man also Deutschland als Alleinschuldigen gebrandmarkt? Weil es mächtig war, mächtiger als alle anderen Staaten in Europa, außer vielleicht Frankreich. Doch das war ein Fehler, den man erst nach den Zweiten Weltkrieg - wenn auch nur teilweise - wieder korrigierte.

  • Wären die Bündnisse des Deutschen Reichs Kriegsbündnisse gewesen, hätte es schon in den 1880er oder 1890er Jahren Krieg gegeben. Schließlich wollte man ja damit Kriege führen, nach Deinem Verständnis. Hätte das Deutsche Reich so gern einen Krieg gewollt, wäre man mit der Mobilisiernug 1914 sicher nicht mehrere Tage Russland und Frankreich hinterher gehangen, Kaiser Wilhelm wäre nach dem Attentat sicher nicht öffentlichkeitswirksam in seinen geplanten Nordland-Urlaub gefahren, um die Lage nicht weiter anzuspannen und in den Tagen vor dem Kriegsausbruch hätte sich das Deutsche Reich sicher nicht mit überflüssiger Diplomatenarbeit gebremst, gerade auch in Bezug auf Österreich, wo natürlich auch viele für einen Krieg gegen Serbien waren, mehr als wo anders, gerade in Bezug auf die jüngsten Vorfälle - aber Missachtend der kritischen Bündnislage mit der dazugehörigen Gefahren einer Eskalation des "Lokalen Konflikts".
    Aber was man doch auch mal betrachten müsste: Gerade die Mächte Russland, Frankreich und / oder England hätten sich auch stark machen können, den Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Sebrien ohne kriegerischen Handlungen lösen zu können. Oder hat das jemand? Hat jemand Beispiele und/oder Quellen? Besonders Russland und das Deutsche Reich hätte jeweils auf seine Verbündeten einwirken können - Kaiser Wilhelm hats ja versucht (wobei es auch ab und an kriegereische Töne von ihm gab) und hat auch Russland kontaktiert, aber da waren auch große Kreise mächtig und aktiv, die einen Krieg wollten.
    Zum Ultimatum muss man den Zeitrahmen betrachten, es dauerte fast einen Monat bis das Ultimatum gestellt wurde. In der Zeit gab es in Serbien nicht gerade sonderlich viel Bemühungen den Vorfall aufzuklären (das ist glaube ich aus dem Jagow-Buch, da müsste ich im Zweifel nochmal nachsehen), weswegen der Druck zu Handeln auf Österreich-Ungarn angwachsen war und eine entsprechende Note an Sebrien überreicht wurde.
    Die Verurteilung der Beteiligten, die Du beschreibst, fand im Oktober 1914 statt. Ich finde aber nirgends, wann sie "geschnappt" wurden. War das bereits im Juni/Juli 1914? Und wäre die info die ich habe, dass Serbien in den Wochen nach dem Attentat so passiv gehandelt hat, somit falsch?

    Zitat

    Wenn man den Wikipedia-Artikel liest


    Das würde mich bei Wikipedia-Artikel zu solchen Themen auch nicht wundern :D Aber das würde ja zu der Aussage zur Kaiserin Zita passen, soweit man das in dem Zusammenhang bringen will. Aber wäre man zu sehr auf der Ebene von Vermutungen.

    Zitat

    Wenn sich jetzt noch einmal die Frage nach der Alleinschuld stellt, so denke ich, dass es keine Alleinschuld gibt. Warum hat man also Deutschland als Alleinschuldigen gebrandmarkt? Weil es mächtig war, mächtiger als alle anderen Staaten in Europa, außer vielleicht Frankreich. Doch das war ein Fehler, den man erst nach den Zweiten Weltkrieg - wenn auch nur teilweise - wieder korrigierte.


    Auf den Absatz hätten wir uns doch nach meinem ersten Beitrag schon im großen und ganzen einigen können ;) Genau darauf lief er ja raus und zeigt ja, dass Du es nicht so siehst, wie die Tagesschau es ausgesprochen hat.
    "Die Schlafwandler" greift ja genau das Thema auf, dass soweit alle Staaten in diesen Krieg getaumelt sind, ohne, dass ein Staat den Krieg tatsächlich wollte. Was die Wahrheit wohl auch nicht ganz trifft, aber dem nahe kommt. Wie schon mehrfach festgestellt, gab es in allen Staaten Kreise, die einen Krieg wollten, mal größere Kreise, mal kleinere, mal mächtigere, mal nicht so mächtiger. Das ist wie heute die Waffenlobby in den USA, die einfach Kriege braucht um überleben zu können. Auch viele Militärs wollten sicher auch einfach mal wieder "pulver riechen", ohne die tatsächlichen Ausmaße des kommenden Kriegs richtig eingeschätzt zu haben. Und gerade weil man Alleinschuldige kaum ausmachen kann, sollte man auch heute vorsichtig sein mit Anschuldigungen usw. Wie es auch im Privaten ist - Fehler werden auf allen Seiten gemacht und da sollte man einfach immer versuchen aufeinander zu zugehen.
    Und ja, das Deutsche Reich war eine so große Wirtschaftskraft geworden, dass es aus Sicht der Siegermächte am lukrativsten war, ihm die Hauptschuld aufzubürden und mit dem Versailler Vertrag entsprechend bluten zu lassen. Frankreich beispielsweise war auch nicht sehr davon begeistert, dass der Hauptteil des Westfeldzuges auf französischen Boden stattgefunden hat und die Städte und Landschaften im Deutschen Reich weitestegehend heil geblieben sind. Aber auch das ist wieder ein weites Feld - auch die Folgen in den 20er Jahren, Inflation, Rheinlandbesetzung, Einfall Polens in Oberschlesiens, Radikalisierung der Bevölkerung usw.

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    Konfizius

  • Auf den Absatz hätten wir uns doch nach meinem ersten Beitrag schon im großen und ganzen einigen können ;) Genau darauf lief er ja raus und zeigt ja, dass Du es nicht so siehst, wie die Tagesschau es ausgesprochen hat.


    So einfach würde ich es mir nicht machen. Es gibt Quellen, die werden in Wikipedia auch benannt, dass Deutschland die treibende Kraft war. Am 29.07.1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Eigentlich wollten sie erst am 12. August, aber Deutschland wollte nicht so lange warten. Außerdem hat Deutschland Russland und Frankreich den Krieg erklärt - nicht umgekehrt. Danach überfiel Deutschland Frankreich, in dem sie zuerst - in der Tat- in Belgien und Luxemburg einmarschierten und damit die Kriegserklärung Großbritanniens provozierten.


    Ich kann im Beitrag der Tagesschau keinen Fehler entdecken.

  • Auch viele Militärs wollten sicher auch einfach mal wieder "pulver riechen", ohne die tatsächlichen Ausmaße des kommenden Kriegs richtig eingeschätzt zu haben. Und gerade weil man Alleinschuldige kaum ausmachen kann, sollte man auch heute vorsichtig sein mit Anschuldigungen usw. Wie es auch im Privaten ist - Fehler werden auf allen Seiten gemacht und da sollte man einfach immer versuchen aufeinander zu zugehen.


    Ich glaube, es besteht momentan auch die Gefahr, dass viele Menschen der Ansicht sind, dass Kriege viel zu weit weg sind um uns wirklich treffen zu können. Da ist man ziemlich lethargisch geworden. Ein wichtiger Schritt nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es gewesen, nicht immer den Blick nur nach hinten zu richten, sondern das, was man gelernt hat, mitzunehmen und in Zukunft auch anzuwenden. Der Blick zurück scheint mir mittlerweile weitestgehend abgeschlossen zu sein, aber es ist nicht gelungen, wirklich etwas mitzunehmen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass das gar nicht so einfach ist, weil Erinnerungen doch recht schnell verblassen. Andere Dinge hat man auch gar nicht im Blick. Die vielen Traumata, die geblieben sind und immer noch in unserem Land lebendig sind, kann man ansprechen, aber glauben tut es einem kaum jemand. Wobei dieses Thema sowieso sehr unterschätzt zu werden scheint.
    Und sich ein solches Szenario vorzustellen, ist auch gar nicht so einfach - genauso wenig wie es 1914 einfach war. Außer dem Satz "Zukünftige Kriege werden anders aussehen" fällt da nicht viel, und das ist schwer mit Inhalt zu füllen. 1939 war das etwas anders, aber da war man in Deutschland mit anderen Dingen beschäftigt.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Zitat

    So einfach würde ich es mir nicht machen. Es gibt Quellen, die werden in Wikipedia auch benannt, dass Deutschland die treibende Kraft war. Am 29.07.1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Eigentlich wollten sie erst am 12. August, aber Deutschland wollte nicht so lange warten. Außerdem hat Deutschland Russland und Frankreich den Krieg erklärt - nicht umgekehrt. Danach überfiel Deutschland Frankreich, in dem sie zuerst - in der Tat- in Belgien und Luxemburg einmarschierten und damit die Kriegserklärung Großbritanniens provozierten.


    Ich kann im Beitrag der Tagesschau keinen Fehler entdecken.


    Es gab in den 60er Jahren auch Historiker die alle Schuld nur auf das Deutsche Reich abgeladen haben. Es ist ja nicht so, dass Kriegsmaßnahmen mit einer Kriegserklärung beginnen. Das Detusche Reich konnte nicht ewig warten und nicht "wollte nicht so lange warten" - man war mit der Moblisierung mehrere Tage hinten dran, Russland und Frankreich hatte vorsprung, hatten beide nicht gerade den Willen zum Friedensschluss geäußert und die waren die Hauptfaktoren des Mehrfrontenkrieges aus deutscher Sicht.
    Großbritanniens wiederum hatte die Möglichkeit die Neutralitäts Belgiens zu wahren. Als England das Deutsche Reich gebeten hatte, nicht durch Belgien zu marschieren, hat das Deutsche Reich dem zugestimmt, mit der Bitte, dass dafür England neutral bleiben sollte. Das wollte England nicht. Und dass England im Kriegsfalle auch durch Belgien marschiert wäre (was den deutschen Durchmarsch moralisch nicht besser macht) war seit 1911 beschlossene Sache (und ich habe auch schon gehört, dass das später mit Belgien von Englands Seite aus sogar abgesprochen wurde, hier fehlt mir gerade eine Quelle, was die Neutralitäts Belgiens dann zunichte machen würde - ich betone -> würde, da ich das gerade nicht belegen kann) - ob das den Deutschen damals bekannt war, weis sich an der Stelle nicht.
    Es ist halt nicht immer so einfach wie es auf den ersten Blick wirkt. Und nein, das Deutsche Reich und erst recht nicht Österreich-Ungarn, waren nicht frei von Fehlern und Schuld.


    Zitat

    dass viele Menschen der Ansicht sind, dass Kriege viel zu weit weg sind um uns wirklich treffen zu können


    Genau, das ist so ein Gewöhnungseffekt - "bei uns passiert das ja nicht", weil man schon seit Jahrzehnten immer "nur" von Kriegen in Asien, im Nahen Osten usw. mitkriegt - wie nah die Ukraine schon ist, ist vielen gar nicht klar.


    Zitat

    Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass das gar nicht so einfach ist, weil Erinnerungen doch recht schnell verblassen.


    Ja das ist wirklich etws, das man nicht nuterschätzen sollte. Schon in Bezug auf das eigene Leben und die eigene Erfahrung. Über mehrere Generationen hinweg kriegt man VIELLEICHT noch einige wichtige Erfahrungswerte von den Großeltern mitgeteilt, mit viel Glück persönlich (oder durch Erzählungen der Eltern und Großeltern) von den Urgroßeltern. und das wars dann. Nicht nur direkte Erinnerungen, es ist ja genua so mit Fotos, Dokumenten, Schriften.

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    Konfizius

  • Zum Thema Kriegsbegeisterung habe ich gerade diese Postkarte gefunden:
    https://www.ebay.de/itm/Kathe-…ksid=p2047675.c100623.m-1
    Der Text auf der Rückseite sagt glaub ich alles über die damalige Kriegsbegeisterung aus!

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  • Das natürlich nicht, aber die patriotische Begeisterung, die schließlich dazu führte, lag bereits deutlich in der Luft. Das habe ich mit "Kriegsbegeisterung" gemeint.
    Ich habe vorhin "Durch Kampf zum Sieg" gegooglet. Bei den Ergebnissen wird der Zusammenhang deutlich.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Prinzipiell gebe ich Dir recht - ich habe ja schon - ich glaube sogar mehrfach - geschrieben, dass der Krieg damals romantisiert wurde (weil es keine Erfahrungen 1. und 2. WK gab, der Krieg weit zurück lag, heroisiert wurde, man den Krieg sowieso seit Nepoleon nocht mehr im eigenen Lande im größeren Ausmaße gespürt hat usw.). Andererseits würde ich den Satz 1912 bei einer Theaterschauspielerin (wer weiss, welches Stück gerade gespielt wurde und worauf das anspielt) direkt mit Kriegslust gleichsetzen. Man kann das genauso mit Sport in Verbindung bringen. Wenn man danach googelt, entdeckt man HEUTE natürlich viel Material mit Bezug auf die Weltkriege usw. Siehe z.B. das hier https://images.booklooker.de/x…-durch-Kampf-zum-Sieg.jpg


    Ich habe auch begeisterte Brief/Tagebuchtexte gefunden, hier aber mal Texte von Menschen, die den Krieg sehr realistisch eingeschätzt haben und das zeigt, dass alles sehr facettenteich ist - also nicht immer alle die gleichen Ansichten teilen: http://geschriebene-geschichte…4-1918-kriegsausbruch.htm


    Achja und diese Rubrik habe ich eigentlich nur deswegen eröffnet, um der Frage nachzugehen, wie die Menschen zum Krieg standen: http://geschriebene-geschichte…riede-sieg-niederlage.htm

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    Konfizius

  • Weiß eigentlich jemand von euch, wie lange Deutschland an den Reparationen für den Ersten Weltkrieg gezahlt hat? Das ging doch bis in die Ära Merkel rein, oder?

    Und wie hoch waren die Zahlungen denn zum Schluss?

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  • Soweit ich weiss 2010 (wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe).


    Das waren am Ende nurn och sehr kleine Summen, nicht mal Millionen im Jahr glaube ich. Bin mir aber nicht ganz sicher.

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  • Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Londoner Schuldenabkommen die Rückzahlung der privaten deutschen Auslandsverschuldung geregelt. Dazu gehörte auch ein Teil der Reparationen, die 1930 auf Anleihenbasis vorfinanziert und damit in Privatschulden umgewandelt worden waren. Ihre Höhe wurde halbiert. Bis etwa 1983 zahlte die Bundesrepublik 14 Mrd. DM Schulden zurück. Allerdings wurden Zinsen in Höhe von 251 Millionen Mark aus den Jahren 1945 bis 1952 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands ausgesetzt und schließlich ab 3. Oktober 1990 wieder fällig. Die Bundesregierung gab darauf Fundierungsanleihen aus, die aus dem Bundeshaushalt getilgt wurden, die letzten am 3. Oktober 2010. Tilgung und Zinsen betrugen für 2010 etwa 56 Millionen Euro.[12][13][14]

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    Konfizius

  • Um diese Buch geht es: https://www.amazon.de/Kaiserdämmerung-Berlin-London-Petersburg-Untergang/dp/360898318X [Anzeige]


    Klett-Cotta Verlag: Rainer F. Schmidt, Kaiserdämmerung


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