Eine kleine Erinnerung an die Stummfilmfreunde
Das Filmmuseum München hat bis zum Sonntag Ludwig der Zweite, König von Bayern (1930), einen der letzten deutschen Stummfilme, online gestellt.
https://vimeo.com/filmmuseummuenchen
Hier der Kommentar des Filmmuseums dazu:
Regie: Wilhelm Dieterle – Drehbuch: Charlotte Hagenbruch, Wilehlm Dieterle, Lajos Bió – Kamera: Charles Stumar – Musik: Joachim Bärenz – Darsteller: Wilhelm Dieterle, Rina Marsa, Theodor Loos, Gerhard Bienert, Trude von Molo, Hans Heinrich von Twardowski, Hubert von Meyerinck, Max Schreck – Format: 35mm – Länge: 115 Minuten –
Viele Legenden umrankten den letzten Stummfilm von Wilhelm Dieterle, der die letzten Lebensjahre des bayerischen Königs schildert. Die Dreharbeiten hätten von Oktober 1929 bis Januar 1930 gedauert, er wäre in den Königsschlössern gedreht worden, die Zensur habe ihn heftig verstümmelt, in Bayern sei der Film verboten worden. Da im Filmmuseum München eine Kopie des Films erhalten ist, die vom Bundesfilmarchiv umkopiert und in der Edition Filmmuseum auf DVD veröffentlicht wurde, und zudem sind Zensurunterlagen, Programmhefte und Presseberichte zum Film greifbar sind, ist die eine differenziertere Darstellung der Produktions- und Rezeptionsgeschichte möglich.
„Mit diesem Film habe ich mich an das ethische und schönste Gefühl des Menschen, an das Mitleid, wenden wollen – ob dieses Gefühl für die Tragödie eines Königs oder eines Arbeiters geweckt wird, ist und muss gleichgültig sein – wenn das Gefühl überhaupt geweckt ist.“ (Wilhelm Dieterle) Dieterle, der vom Theater kam und als Darsteller vor allem in Berg- und Heimatfilmen sehr populär wurde, inszenierte Ende der 1920er Jahre bis zu vier Spielfilmen im Jahr, in denen er auch die Hauptrolle spielte. Da er unterschiedlich Genres bediente und auch populäre Trivialliteratur adaptierte, genoss er bei der Feuilletonkritik kein hohes Ansehen. Sein Film über Ludwig II wurde daher nicht nur von konservativen Kreisen in Bayern, die schon gegen Dieterles Film GESCHLECHT IN FESSELN über die Sexualnot der Strafgefangenen Sturm gelaufen waren, ausgesprochen kritisch gesehen, sondern auch von der zeitgenössischen intellektuellen Filmkritik.
Die Dreharbeiten zu LUDWIG DER ZWEITE begannen im Oktober 1929 mit Außenaufnahmen in Bayern und endeten ab Mitte November mit Atelieraufnahmen in Babelsberg, für die die Innenräume der Königsschlösser nachgebaut wurden. Ende Dezember 1929 wurde der Film bereits der Filmprüfstelle in Berlin vorgelegt, die den Film mit kleinen Auflagen freigab. Geschnitten wurde eine Szene im 1. Akt („Der irrsinnige Otto kriecht vor seinem Bruder auf der Erde“) und eine „Würgeszene zwischen König und Arzt“ im Starnberger See am Ende des Films wegen „verrohender Wirkung“. Eine „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ wurde darin gesehen, dass „durch die Darstellung noch lebender Personen, insbesondere der Verwandten des Königs, der Eindruck erweckt wird, als ob sie auf alle Fälle dahin gewirkt hätten, den König für irrsinnig zu erklären.“ Deshalb mussten die Texte von vier Zwischentiteln geändert und zwei Einstellungen („Die Großaufnahme der Verwandten des Königs beim Festmahl“ und „Die Verwandten des Königs im Jagdzimmer“) entfernt werden.
Ein Beschwerdeverfahren vor der Film-Oberprüfstelle am 8. Januar 1930, in dem ein als Sachverständiger angehörte bayerische Ministerialdirektor ein Vollverbot des Films forderte, bestätigte die Freigabe des Films mit den von der Filmprüfstelle verfügten, inzwischen erfolgten Änderungen. Da die Deutsche Universal den Film in München uraufführen wollte, verhandelte sie lange mit den Münchner Polizeibehörden über weitere Kürzungen. Diese betrafen die im Film verbliebene Szene mit Bruder Otto, Anspielungen auf den Alkoholismus, den Irrsinn die Homosexualität des Königs, sowie seinen Selbstmord. Kurz vor der Premiere am 6. März 1930 im Gloria-Theater verbot die Polizeidirektion nach Protesten des „Bayerischen Heimat- und Königsbundes“ und der „Vereinigten Vaterländischen Verbände“ die Veranstaltung, da sie die „öffentliche Ordnung“ gefährde. Der Film erlebte daraufhin seine Premiere am 10. März im Berliner Titania-Palast. In München lief er erst Ende März 1930 an, nachdem die Film-Oberprüfstelle einen von der Bayerischen Regierung am 7. März beantragten Widerruf der Zulassung des Films ernaut zurückgewiesen hatte.
Die digitalisierte Kopie des Filmmuseums München wurde neu lichtbestimmt, um der visuellen Brillanz der Bildgestaltung von Universal-Kameramann Charles Stumar gerecht zu werden. Die einfühlsame Musikbegleitung von Joachim Bärenz greift Motive von Richard Wagner auf. Die erhaltene Filmkopie entspricht mit einer Länge von 3.147 Metern der seinerzeit im Kino gezeigten Fassung. Eine ursprüngliche Filmlänge von 3.929 oder 3.963 Metern, die einer Vorführdauer von zweieinhalb Stunden entspräche, lässt sich nicht belegen. Eine neuerdings gelistete Vorführdauer von 132 Minuten basiert auf einer Vorführung einer im Bundesarchiv anfertigten Dup-Kopie der Filmmuseumskopie auf der Berlinale 2018 mit einer verlangsamten Vorführgeschwindigkeit, die der zeitgenössischen Kinopraxis nicht entspricht und das Filmgeschehen unangenehm in die Länge zieht.
(Stefan Drößler)