Ihr könnt euch niemals sicher sein

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Datum: 17.11.2009 | VÖ: 30.10.2009 | Herausgeber: Edel Motion | Kategorie: Film

Der 17jährige Oliver wächst mit seiner 9jährigen Schwester Annika in einer gutsituierten Familie auf, aber die Spießigkeit der eigenen Familie langweilt ihn zu Tode. Dass er gerade umgezogen ist und die Schule gewechselt hat, macht es ihm nicht leichter. Seinem Frust verschafft er daher in Raptexten Luft. In der Schule verfasst das wortgewandte Talent über die Leiden des jungen Werthers sogar einen Aufsatz in Rap-Reimen. Seine neue Deutschlehrerin Vollrath ist jedoch blind für sein Können und gibt ihm dafür keine Punkte. Als Oliver ihr klarmachen will, dass er nur versuchte, sich "in Werthers Psyche einzufühlen, um die Gründe für seinen multikausalen Suizid zu erklären", bleibt der überforderten Pädagogin nur die hilflose Antwort, dass Oliver nicht so weitermachen solle, sonst wäre seine Versetzung gefährdet. Der verlässt daraufhin wütend die Klasse und verliert dabei einen seiner Raptext-Zettel, den seine Lehrerin aufhebt. Entsetzt liest sie darauf Texte wie "es ist Jugdement Day", "ich knall euch alle ab" und "Vollrath verrecke".

Im Lehrerzimmer sind sich natürlich alle einig, dass angesichts des Verdachts auf einen neuerlichen bevorstehenden Amoklauf die KriPo informiert werden muss. Diese durchsucht unter der Leitung von Hauptkommissar Weigel noch am gleichen Abend Olivers Zimmer und findet außer einem indizierten Ego-Shooter-Spiel auf seinem Laptop und den Raptexten auch eine alte, aber funktionstüchtige Pistole. Sie packen alles als Beweismittel ein, weil Oliver nun unter dringendem Tatverdacht steht, eine Straftat zu planen. Beim Verhör gibt Oliver an, dass die Pistole ein Erbstück seines Großvater ist und er früher aus Neugier auch mal damit geschossen habe. Die durch das indizierte Computerspiel vorhandene Voreingenommenheit des Hauptkommissars wird durch die radikalen Raptexte noch verstärkt. Dem Jungen kann der in simplen Strukturen Denkende aber letztlich nicht mehr als unerlaubten Waffenbesitz vorwerfen, also empfiehlt Weigel nun den Eltern, den Jungen in eine Psychiatrie einweisen zu lassen, um ihn untersuchen zu lassen " anderenfalls würde er das Jugendamt informieren, die dann die Erziehung übernähmen. Derart unter Druck gesetzt, geben die Eltern widerstrebend nach. Die Psychologin versucht zwar, Oliver bei der Befragung verbal aus der Reserve zu locken, doch Oliver bemerkt ihre Absicht. Die "rztin ist beeindruckt von Olivers Antworten, erkennt aber auch seine Intelligenz. Dennoch muss er eine Weile bei den anderen ebenfalls eingewiesenen Jugendlichen bleiben.

Während Olivers Vater seiner Frau zu erklären versucht, dass bereits Johnny Cash Texte gesungen hat wie "...I shot a man in Reno, just to watch him die" ("...ich erschoss einen Mann in Reno, nur um ihn sterben zu sehen..."), ohne anschließend auf Amoktour gegangen zu sein, verrennt sich diese trotzig immer weiter in den Gedanken, ihren Sohn vernachlässigt zu haben. Der wird kurz darauf vorzeitig entlassen, weil die Psychologin keinerlei Anhaltspunkte für ein gewalttätiges Verhalten in Oliver sieht, der vielmehr überdurchschnittlich sensibel sei. Die Eltern sollen ihn einfach nur ernst nehmen und endlich mit ihm reden. Von der Schule bleibt Oliver allerdings bis zu einer endgültigen Entscheidung des Lehrergremiums beurlaubt. Die Lehrer sehen in völliger Ignoranz des Psychologenurteils in Oliver der Raptexte wegen ein immenses Gefahrenpotential, dass unbedingt entfernt werden muss - insbesondere Vollrath kann ihre totale Ablehnung kaum noch verbergen. Viele der Lehrer haben sich wie sie bereits dermaßen von der Welt ihrer Schüler entfernt, dass sie nicht einmal ihre Sprache verstehen. Die wenigen Ausnahmen unter ihnen können selbst nicht nachvollziehen, dass Vollrath das Talent ihres hochbegabten Schülers angesichts des ausgefallenen Aufsatzes nicht honoriert, doch die verweigert sich uneinsichtig und selbstgerecht jeder Kritik. Sie gibt offen zu, dass ihr Olivers Texte Angst machen. Doch das dürfte nicht nur an der Gewalt in Olivers Texten liegen, sondern in großem Maße auch daran, dass nun erkennbar wird, dass sie als Pädagogin überfordert ist und somit ihrem Job nicht mehr gerecht wird. Die grundlosen Vorurteile gegenüber Oliver machen in der Schule aber nicht Halt, sondern verbreiten sich auch im Ort...

Der Film zeigt hier einen typischen Jugendlichen im Teenageralter, der wie andere Gleichaltrige auf der Suche nach dem eigenen sich entwickelndem Ich ist, nur dass Oliver alles in Raptexten verarbeitet und den Frust beim Egoshooter rauslässt anstatt beim Sport oder ähnlichen Hobbys. Dabei ist er durchaus nicht kommunikationsgestört, er kann mit den anderen Gleichaltrigen einfach nichts anfangen, weil sie ihn und seine Gefühle nicht verstehen und daher auch ablehnen. Vielen ist Olivers angebliche Agressivität ein Rätsel und erkennen in ihrer Selbstgerechtigkeit nicht, dass tatsächlich ihr eigenes Verhalten dafür sorgt, dass der dafür eigentlich allen Grund hätte. "Hätte", denn tatsächlich ist er in keinster Weise agressiv. Er verletzt niemanden, er bedroht niemanden " allein sein unkonventionelles Erscheinen und seine Redegewandtheit ist für viele bereits Einschüchterung genug, weil sie ihm nicht Gleichwertiges entgegensetzen können. Als er in einer Ausnahmesituation einem Schüler, der seine kleine Schwester mit sexistischen Sprüchen belästigt hat, ein paar ernste Wort zukommen lässt, wird dies wieder von der Vollrath gesehen und als weitere Agression missgedeutet, weil sie den Hintergrund der Situation nicht kennt und sich auch nicht im Geringsten darum bemüht. Den eigentlichen Täter sieht sie daher fälschlicherweise als Opfer. Die Psychologin aus der Psychiatrie ist die Einzige, die Oliver korrekt als ganz normalen - wenn auch übersensiblen - Jugendlichen einordnet, doch ihr Urteil wird schlichtweg ignoriert. Anderenfalls müsste man sich ja eingestehen, dass man mit dem eigenen Urteil zu schnell bei der Hand war und sich geirrt habe. Doch für viele Erwachsenen gibt es nicht Schlimmeres, als eigene Irrtümer eingestehen und sich dafür entschuldigen zu müssen, denn dann würde der eigenen Krone ein Zacken fehlen. Die perfekte Fassade, die man vor den Kollegen, den Nachbarn, oft sogar der eigenen Familie unter Mühen aufgebaut hat und tagtäglich zu erhalten versucht, würde dann Risse bekommen. Und was könnte besser von der eigenen Unzulänglichkeit ablenken, als andere in den Mittelpunkt zu stellen und auf sie zu zeigen? Warum sollte man sich denn auch bemühen, die andere Seite der Medaille anzusehen? Es könnte ja als Schwäche ausgelegt werden " obwohl gerade bei dem Versuch, Verständnis aufzubringen, Stärke gezeigt werden könnte. Da sind die gepflegten Vorurteile doch viel bequemer, weil man nicht zu denken braucht.

Das Filmende macht leider den Eindruck, als wäre man plötzlich in Zeitnot geraten und hätte in der Eile keine bessere Idee gehabt. Es erscheint nämlich etwas zu sehr konstruiert und passt irgendwie nicht zu dem ansonsten hervorragendem Film, der kaum Längen hat und nicht nur äußerst sehenswert, sondern auch hörens- und nachdenkenswert ist. Diese DVD aus der neuen Gewinner-FilmEditon von Edel Motion zeigt den 16:9-Film mit einem durchschnittlich scharfen Bild, gelegentliches Bildrauschen ist zu erkennen, besonders am Anfang während der Partyszenen. Leider fehlen diesem ausgezeichnetem Film auch deutsche Untertitel, so dass viele Schwerhörige hiervon ausgeschlossen bleiben werden. Extras sind keine vorhanden, lediglich ein paar Trailer zur Edel-Eigenwerbung. Schade, gerade bei diesem Film wären Interviews mit Autor, Regisseur und Darstellern über ihre persönliche Sichtweise des Films und Anlegen der Protagonisten sehr interessant gewesen. Die Auszeichnungen für diesen Top-Film sind mit Recht verdient, die fehlenden Punkte gehen ausschließlich zu Lasten der sehr kargen DVD-Ausstattung. (gh)

Wertung: 7 von 10 Punkten (7 von 10 Punkten)

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