Das Äquinoktium der Wahnsinnigen

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Datum: 18.05.2014 | VÖ: 01.01.2009 | Herausgeber: Blitz | Kategorie: Roman

Im Sortiment des auf Horror-, Krimi-, Mystery- und Science-Fiction-Themen spezialisierten Blitz-Verlages erscheint seit 2008 eine Hardcover-Buchreihe, die dem Leser vollmundig "Meisterwerke der dunklen Phantastik" in Aussicht stellt. Die von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser editierten Kurzgeschichtensammlungen aus der britischen Dekadenz-"ra "Als ich tot war" Band 1 und 2 haben eindrucksvoll die Ernst- und Gewissenhaftigkeit unter Beweis gestellt, mit denen der hier formulierte Anspruch eingelöst werden soll. Nach der Lektüre dieser beiden Anthologien griff ich voller Spannung nach der von Frank Rainer Scheck dieses Mal im Alleingang herausgegebenen Kurzgeschichtensammlung "Das "quinoktium der Wahnsinnigen" aus dem Jahr 2009. Unter diesem Rätsel-verheißenden Titel hat der Blitz-Verlag ein Werk wiederveröffentlicht, das in Deutschland im Jahr 1969 erschien, aber nur geringe Aufmerksamkeit erfuhr. Der im rumänischen Original "Echinoxiul nebunilor si alte povestiri" betitelte Band versammelt zehn Kurzgeschichten des Schriftstellers Anatol E. Baconsky (1925-1977), der neben Gedichten, Essays und Reiseberichten zwei phantastische Hauptveröffentlichungen vorlegte: den Kurzroman "Die schwarze Kirche" und eben "Das "quinoktium der Wahnsinnigen".
Die Geschichten des ""quinoktiums" zeichnen sich zunächst durch eine weitgehende stilistische und thematische Geschlossenheit aus: zu ihren Gemeinsamkeiten gehören der Ich-Erzähler und sein Blick auf die Welt und die Geschehnisse, die sich um ihn herum entfalten. Diesen Blick bringt folgende Passage beispielhaft zum Ausdruck:
"Ich nahm an einem heimlichen Kampf teil, einem Zwiespalt im Dunkeln, unter dem unerklärlichen Schutz von Geheimnissen, die mir weiterhin fremd blieben. Und was mich bewegte, war der Umstand, dass es mir trotz aller Anstrengung noch nicht gelungen war, meinen Platz in diesem Kampf zu finden." (S. 46-47)
In welchen Kampf ist er verstrickt, und welche Gefahren sind es, die den Ich-Erzähler bedrohen? Vampire etwa, Zombies oder andere Klischeegestalten, deren Wiederbelebung die moderne Horror-Literatur nicht müde wird? " Nein, bei Baconsky walten unerklärliche und unheilvolle Schicksalsmächte, die sich in geisterhaften Erscheinungen, furchtbaren Ereignissen und vor allem in einer dämonisch-entfesselten Natur verdichten. Lange Passagen in seinen Erzählungen sind Naturbetrachtungen " aber was für eine Natur: ein Spiegelbild nicht nur menschlicher Abgründe! Zwar mag man an den Motiven der Geschichten kritisieren, dass sie zum Großteil bekannt sind oder sich vorhersehbar entwickeln " doch hat man als Leser (im Gegensatz wiederum zur modernen Horror-Literatur) nie das Gefühl, etwas Altbekanntes zu lesen: Zu eigenwillig ist Baconskys Stil, zu fesselnd seine Sprache.
Faszinierend und zugleich beklemmend ist das Lebensgefühl, das die Erzählungen verströmen: Entfremdung und Einsamkeit sind die vorherrschenden Gefühlszustände; zwischenmenschliche Beziehungen bleiben unerfüllt oder sind von Misstrauen, Sprachverlust und Kommunikationslosigkeit geprägt. Für die übernatürlichen Ereignisse gibt Baconsky keine Erklärungen " dies rückt ihn einerseits in die Nähe von Kafka, erlaubt es aber auch, seine Texte als Allegorien auf menschliche Isolation, auf Depression und Lebensfurcht zu lesen. Für den unbedarften Leser sind Baconskys Erzählungen sicher eine Herausforderung: man muss sich auf ihren düsteren Zauber einlassen, auch auf die ausschweifende, metaphorische Sprache, die an manchen Stellen vielleicht den Eindruck hinterlässt, etwas dick aufgetragen zu sein. Wer diesem Erzähler sein Ohr leiht und seine Phantasie stimulieren lässt, wird jedoch unweigerlich hineingezogen in eine Welt, deren Enge, Hoffnungslosigkeit und Mysterien den Leser selbst immer wieder an die letzten Fragen heranführt.
Lob und Dank gelten dem Blitz-Verlag für diese ungewöhnliche literarische Wiederentdeckung. Es ist zu hoffen, dass die Reihe "Meisterwerke der dunklen Phantastik" ihrem Namen auch weiterhin gerecht werden wird. " "Das "quinoktium der Wahnsinnigen" umfasst 208 Seiten und liegt in einer schön gestalteten Hardcover-Edition mit Schutzumschlag und atmosphärischem Titelbild (Mark Freier) vor. (df)

Wertung: 8 von 10 Punkten (8 von 10 Punkten)

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