Als ich tot war – Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit. (Teil 2)

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Datum: 09.03.2014 | VÖ: 01.01.2008 | Herausgeber: Frank Rainer Scheck & Erik Hauser | Kategorie: Roman

Wie bereits im brillanten Vorgänger, der ebenfalls 2008 erschienenen Anthologie "Als ich tot war, Band 1", versammeln die Herausgeber Frank Rainer Scheck und Erik Hauser auch im zweiten Band 15 düster-makabre Erzählungen von Autoren der britischen Dekadenzzeit. Wer dieses Genre nicht zuordnen kann, dem bleibt neben der eigenen Recherche nur der Griff zum ersten Band, der ausführlich in das Thema, das Milieu und die Motive der dekadenten britischen Literatur des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts einführte. Dass der zweite Band stilistisch und atmosphärisch an den ersten anknüpft, dürfte vor diesem Hintergrund nicht überraschen. Wem der erste gefallen hat, wird auch den zweiten ins Herz schließen " wenn auch mir persönlich die Erzählungen des ersten insgesamt etwas besser gefielen. Dies mag an dem vor allem in den beiden Geschichten Max Beerbohms aufscheinenden Humor gelegen haben, den ich im Nachfolgeband etwas vermisst habe.

Band 2 enthält die folgenden Kurzgeschichten, von denen die früheste im englischen Original erstmals 1886 und die späteste 1931 veröffentlicht wurde:
Robert Hichens " Die Rückkehr der Seele
R. Murray Gilchrist " Der Basilisk
R. Murray Gilchrist " Die Hexe
Ronald Firbank " Eine Tragödie in Grün
Lady Dilke " Der Schrein des Todes
Barry Pain " Sklavin des Mondes
Vernon Lee " Der Gekreuzigte
Vernon Lee " Die gnadenreiche Madonna
Vernon Lee " Die Puppe
Arthur Machen " Ein Idealist
Arthur Machen " Der Club, den es nicht gibt
Arthur Machen " Die Tür öffnet sich …
M.P. Shiel " Huguenins Weib
M.P. Shiel " Vaila
M.P. Shiel " Tulsa

Aufschlussreiche biographische Details zu den Autoren sind den Geschichten in kurzen Aufsätzen vorangestellt. Im Bereich der Phantastik beileibe keine Selbstverständlichkeit ist die liebevolle und meines Erachtens (zumindest in Unkenntnis der Originale) glänzend gelungene Übersetzung.

Einen guten Einstieg in die Sammlung bietet Robert Hichens mit 60 Seiten sehr lang ausgefallene Erzählung "Die Rückkehr der Seele", in der sich eine Jugendsünde des Ich-Erzählers " die Ermordung einer Katze " in bitterster Weise rächt, da er erkennen muss, dass die Seele des Tieres im Körper der jungen Frau reinkarniert ist, von der er sich eigentlich die Absolution für seine verworfene Jugend erhofft hatte. Sperrig, von einem ausgeprägten Symbolismus durchdrungen sind dagegen die beiden Texte von R. Murray Gilchrist, während Ronald Firbanks "Tragödie in Grün" mit einem Augenzwinkern von den Allmachtsphantasien der gelangweilten Lady Giorgia erzählt, die dank eines schwarzmagischen Beschwörungsbuches Wirklichkeit werden. In Emilia Dikes "Schrein des Todes" will ein junges Mädchen sich mit dem Tod vermählen " mit den zu erwartenden Konsequenzen, die auch Barry Pains "Sklavin des Mondes" tragen muss. Die drei sprachlich herausragenden Beiträge von Vernon Lee sprengen dagegen sämtliche Phantastik-Klischees: mein Favorit, "die gnadenreiche Madonna", erzählt vom Versuch des skrupellosen Abenteurers und Frauenhelden Don Juan, mit Hilfe sinisterer Beschwörungen eine seit Jahrhunderten schlafende Infantin zu erwecken und sich mit ihr zu vermählen. Das Ende ist vorhersehbar, aber meisterhaft erzählt. Ebenfalls als Meister, allerdings weniger im Ausführen denn im Andeuten, erweist sich Arthur Machen mit seinem hochsuggestiven "Idealisten", aber auch dem mysteriösen "Club, den es nicht gibt", dem man in der Weltliteratur allerdings desöfteren begegnet. Ein ebenfalls geläufiges Motiv greift Machen in "Die Tür öffnet sich" auf, in der ein Journalist zunächst über kuriose Begebenheit aus dem Nähkästchen plaudert, um schließlich von einem Theologen zu berichten, der mit dem erschreckenden Phänomen des eigenen, zunächst zeitweisen und zuletzt endgültigen Verschwindens konfrontiert wird. Drei Kurzgeschichten von Matthew Phipps Shiel schließen den Band ab: Sie alle kreisen um das Motiv der "Femme fatale", kombinieren es mit dem "Haunted House" und zeichnen sich durch eine Sprache aus, die zwischen Anschaulichkeit und schwülstiger Übertreibung balanciert. Ein Beispiel: "Während die Stunden verstrichen und der träg dahinfließende, dem Tartarus geweihte Tag seiner unheilvollen Mitternacht zudunkelte, nahm das anschwellende Getön des Kataraks mit seinen nun verdoppelten Wassermassen " unterstützt von der vorwärtsdrängenden Majestät des Sturms, der inzwischen seine Klimax erreicht hatte " allzu eindeutig und absichtsvoll den Charakter eines Schreies an, als daß menschliche Vernunft es noch hätte ertragen können." (S. 290)
Diesen überfrachteten Stil muss man nicht mögen, aber man darf ihn als ein ästhetisches Phänomen schätzen, das die Gegenwartsliteratur nicht kennt (und erst recht nicht beherrscht). Daher wendet sich auch der zweite Band von "Als ich tot war" an eine Leserschaft, die von den grellen, immer gleichen Schocks des neuzeitlichen Horrors ermüdet ist und stattdessen eintauchen will in das mystisch-spukhafte Universum dieser heute vergessenen bzw. im deutschen Sprachraum kaum bekannten Autoren.

Dem Blitz-Verlag ist mit "Als ich tot war, Band 2" wiederum ein schöner Hardcover-Band mit Schutzumschlag gelungen, den man als Pflichtlektüre für die Freunde anspruchsvoller Phantastik uneingeschränkt zum Kauf empfehlen kann. 320 Seiten kosten 17,95 Euro. (df)

Wertung: 8 von 10 Punkten (8 von 10 Punkten)

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