Als ich tot war – Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit. (Teil 1)

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Datum: 22.12.2013 | VÖ: 01.01.2008 | Herausgeber: Frank Rainer Scheck & Erik Hauser | Kategorie: Roman

Seit 1995 hat sich der in Windeck ansässige BLITZ-Verlag etabliert als Szene-bekannter Lieferant spannend-trashiger Unterhaltungsware aus den Sparten Horror, Thriller und Mystery, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Wiederveröffentlichung und Fortschreibung klassischer Heftromanserien liegt " allen voran Dan Shockers "Larry Brent" und "Macabros". Dass es auch anspruchsvoller geht, beweist der Verlag mit seiner Reihe "Meisterwerke der dunklen Phantastik", in der vor einigen Jahren die auf 888 Exemplare limitierte zweibändige Kurzgeschichten-Edition "Als ich tot war" erschienen ist. Das feinere Ohr, das diese Formulierung kalt lässt, horcht dagegen beim Untertitel auf, der "dunkle Phantastik aus der britischen Dekadenzzeit" verheißt.
Was aber ist die "britische Dekadenz"? Diese Frage beantwortet ein aufschlussreicher, literaturwissenschaftlich fundierter Essay des Mit-Herausgebers Erich Hauser: "Mit dem Tod flirten " Zur dunklen Geschichte der Dekadenz". Wir erfahren, wie die französische Dekadenzdichtung des späten 18. Jahrhunderts auf die Literaten der britischen Insel überschwappte, unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sie sich dort entfaltete und welche Eigentümlichkeiten die britischen Exponenten der Dekadenz für sich beanspruchen können.
Den Hauptteil des 320 Seiten starken Bandes bilden 15 Kurzgeschichten von 10 Autoren, deren Lebensgeschichte und literarisches Schaffen zuvor jeweils ausführlich und zum Teil sehr liebevoll vorgestellt werden. Den Leser erwarten düster-phantastische Miniaturen, die das enge thematischen und motivische Korsett der Grusel- oder Gespenstergeschichte sprengen und mitunter " beispielsweise Richard Garnetts Groteske "Der satanische Papst" " eindeutigen Genre-Zuschreibungen zuwiderlaufen. Gerade das macht die Lektüre angenehm abwechslungsreich, auch wenn das Schockpotential der Texte für Freunde des modernen Horrors natürlich gering ist. Herausragend ist aber die sprachliche Meisterschaft, die die Geschichten auszeichnet und hier (mit Ausnahme ganz weniger, beim Lektorat durchgeschlüpfter Fehler) vorbildlich ins Deutsche übertragen wurde.
Versammelt sind die folgenden Erzählungen:
Vincent O‘Sullivan " Als ich tot war
Vincent O‘Sullivan " Madame Jahn
Vincent O‘Sullivan " Willenskraft
Arthur Quiller-Couch " Das Spiegelkabinett
Bernard Capes " Der Wasserfall
Richard Garnett " Der satanische Papst
H.B. Marriott Watson " In den Sümpfen
Ella D’Arcy " Die Villa Lucienne
Eric Count Stenbock " Die andere Seite
Eric Count Stenbock " Viol d‘amour
Eric Count Stenbock " Ein moderner Sanktvenantius
Charlotte Mew " Eine weiße Nacht
Jerome K. Jerome - Silhouetten
Max Beerbohm " A.V. Laider
Max Beerbohm " Enoch Soames

Höhepunkte der Anthologie sind aus meiner Sicht:
- das feministische Glanzstück "Eine weiße Nacht" von Charlotte Mew, in der eine Gruppe Spanientouristen unbeabsichtigt Zeuge einer Zeremonie wird, bei der eine junge Nonne lebendig begraben wird. Die bedrückende Wirkung des Textes entsteht dadurch, dass der Ich-Erzähler das Geschehen als ein Schauspiel wahrnimmt, ohne ein Eingreifen ernstlich in Erwägung zu ziehen.
- die autobiographischen Kindheitserinnerungen von Jerome K. Jerome "Silhouetten", in dem sich Eindrücke einer grausam-unverständlichen Erwachsenenwelt in einer dämonisch verfinsterten Landschaft spiegeln.
- die beiden Beiträge von Max Beerbohm, dessen Erzählkunst und Humor den Leser in der Schwebe lässt, ob der geheimnisvolle Kurgast in "A.V. Laider" wirklich ein vom Schicksal gestrafter Handleser ist oder seine Zuhörer einfach nur an der Nase herumführt. Mit "Enoch Soames", der Geschichte eines verkrachten Literaten, der dem Teufel für einen Blick in die Zukunft seine Seele verkauft, folgt eine glänzende Satire auf schriftstellerischen Größenwahn.

"Als ich tot war" bietet jedem Phantastik-interessierten Kurzgeschichtenleser eine reizvolle Lektüre und die Chance auf die eine oder andere literarische Neuigkeiten. Und weil diese in einem schönen Hardcover mit Schutzumschlag erschienene Anthologie-Sammlung Lust auf mehr macht, ist erfreulicherweise bereits 2008 der zweite Band erschienen. (df)

Wertung: 9 von 10 Punkten (9 von 10 Punkten)

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