Glotze fatal: Wie TV-Unterhaltung Leben zerstört

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Datum: 04.12.2011 | VÖ: 26.11.2010 | Herausgeber: filmdenken Verlag | Kategorie: Sachbuch

In Anlehnung an den Buchtitel trägt diese Rezension den Titel "Schreiberling fatal " wie Geschreibsel Hirnzellen zerstört". Aber alles von Anfang an: RTL, Pro7, Sat1 und der gesamte öffentlich-rechtliche Apparat: das sind Daniel Hermsdorfs erklärte Feinde, denn sie zerfressen den Geist jedes Zuschauers und lassen es ihn nicht einmal merken. Eingelullt und geködert bei den simpelsten emotionalen Bedürfnissen wie Neugier, Sensationslust, Allmachtsphantasien, Eskapismus oder Mitgefühl verbringen Fernsehzuschauer ihre spärliche Freizeit vor dem Fernseher und lassen sich bedudeln. Das sorgt für eine Verrohung der geistigen und emotionalen Basis des Menschen, stumpft ihn ab, verformt sein Selbst- und Weltbild und befördert nebenbei auch noch einen volkswirtschaftlichen Schaden an diesem unserem wunderschönen Heimatland.
So ungefähr kann man die Grundaussage dieses Machwerks zusammenfassen. An und für sich ist die Idee lobenswert (wenn auch nicht originell), denn es stimmt sicherlich, dass Fernsehkonsum nur in den seltensten Fällen die geistige oder moralische Bildung unterstützt. Vielmehr wird geschaut, was einem einfach "gefällt" und Hermsdorf entschlüsselt in seinem Buch, über welche unterschwelligen Kanäle die Fernsehmacher ihr Publikum langfristig binden. Das hinterlässt natürlich Spuren auf der Seele des Zuschauers, aber das nimmt das Fernsehen gern in Kauf " man freut sich sogar darüber, denn je roher der Zuschauer umso leichter einzufangen und vor der Flimmerkiste zu fesseln.

Fernsehen ist böse. Aber wir haben ja unseren Retter gefunden: Daniel Hermsdorf hält uns endlich die Wahrheit vor Augen und rüttelt uns aus der sklavischen Gehorsamkeit der Teufelskiste gegenüber. Er ist quasi unser Erlöser, jedenfalls strahlt der Autor eine entsprechende Selbstgefälligkeit in seinen mit Hohlphrasen verzierten Analysen aus.
Per se ist das Vorhaben des Buches interessant: aufzeigen, wo das Fernsehen manipulativ den Zuschauer bindet " leider scheitert Hermsdorf an sich selbst, an seinen hahnebüchernen "Ergebnissen" der Betrachtung von Fernsehprogrammen und seinem Stolz auf seine eigenen Erkenntnisse.
Zunächst ist alles ganz nett und adrett, als Hermsdorf bspw. "Deutschland sucht den Superstar" analysiert und dabei herausstellt, wie Dieter Bohlen sich selbst als Medienmächtiger inszeniert und die Zuschauer eher auf Tratsch als auf Gesangstalente geeicht werden. Man hat als Leser das Gefühl, die Seminararbeit eines fleißigen Studenten zu lesen: ganz nett und auch nicht uninteressant, aber "bahnbrechend" ist anders.
Dann traut sich Hermsdort hinter der pseudowissenschaftlichen Fassade, die er scheinbar anstrebt, hervor und lässt seine Deutungswut ungehemmt von der Leine. Er schreibt über die Art der Berichterstattung bei Fußballspielen: Alles ist groß und reißerisch inszeniert und die ARD setzt Moderatorin Monika Lierhaus bewusst ein, um die sexuelle Komponente präsent zu halten. Daraus entwickelt Hermsdorf dann das Theorem, dass es lauter sexuelle Anspielungen in der Fußball-Reportage der ARD gibt. Über ein Interview mit Bundestrainer Joachim Löw schreibt Hermsdorf:
"Die auffällige Wiederholung von 'das Tempo hochzuhalten […], so das Tempo au hochzuhalten' betont den bekanntesten Markennamen für Papiertaschentücher, die beim Onanieren zur Reinigung verwendet werden." (S. 57)
Und ein Dialog Gerhard Dellings mit Günther Netzer führt zu folgender Erkenntnis: "Auch hier ein Schlüsselverb des homosexuellen Subtextes: 'Beschäftigen' lässt sich auflösen in 'B' als Formanalogie zum menschlichen Hinterteil, der 'Schaft' ist eine phallische Verjüngung bestimmter Objekte. 'B-Schäftigung' ist so sprachspielerisch abermals Analverkehr." (S. 59)
Spätestens nach dieser Passage sucht der Leser nach einem Hinweis im Klappentext, dass er in Wirklichkeit eine satirisch gemeinte Gaga-Lektüre in Händen hält, aber die rettende Aufklärung des Buches als gewollte Schmierenkomödie bleibt aus.
Hermsdorf ist aber auch auf anderer Ebene zu "ußerungen fähig, die man nicht glauben möchte, da man nicht wahrhaben will, jemand könnte wirklich so denken: "Die Frage würde also weitergehend lauten, was solche TV-Programme noch zu einer gesellschaftlichen Situation beitragen, in der sich [geschiedene Familien] häufen. Sie gehören zu einer gewandelten Lebenskultur, die sich " wie einige andere statistische Eckdaten " zeitlich tendenziell parallel zur Einführung des Privatfernsehens in Deutschland vollziehen." (S. 95)
Nochmal zum Mitschreiben: Das Privatfernsehen wird in kausalen Zusammenhang mit der bundesdeutschen Scheidungsrate gesetzt. Es wurden keine "ußerungen zum Wandel der Arbeitskultur oder anderen gesellschaftlichen Umbrüchen gemacht.
Als Leser schleicht sich der Verdacht an, man würde Zeuge einer modernen "Moby Dick"-Variante: Daniel "Ahab" Hermsdorf jagt den Weißen TV-Wahl und schreit jedem seine fanatistische Propaganda ins Gesicht. Sicherlich hat er das Buch zu großen Teilen nur für sich geschrieben, die Selbstgefälligkeit war erwähnt worden. Böse Zungen könnten dies auch "Geistige Onanie" nennen.
Man stellt sich aber wirklich allen Ernstes die Frage, für wen das Buch geschrieben sei: Für die TV-Opfer, die nicht erkennen können, wie sie gefangen wurden und geistig dahinsiechen? Sie dürften Hermsdorfs Analyse kaum nachvollziehen können. Richtet sich das Buch an alle anderen, jene Noch-Freien mit Verstand im Kopf? Auch sie können dieses Warn-Manifest nicht ernst nehmen, denn auf sowas fällt doch niemand rein. Hermsdorf schreibt also für sich selbst und das ist auch gut so. Ein Mensch, der konstatiert, dass Inka Bause das voyeuristische "Bauer sucht Frau" gern moderiert, weil ihr Vater in der DDR Schlagersänger war und Frau Bause daher mit der ""sthetik der Überwachung (S. 136) vertraut sei, darf sehr gern unter sich bleiben und sich in seiner Engstirnigkeit als großer Entlarver von einerseits Offensichtlichem und andererseits Unhaltbarem selbst feiern.
Bei seinem Kreuzzug gegen das Fernsehen vergisst Hermsdorf ganz, welchen potentiellen Schaden am Intellekt der Menschheit er mit seinem Buch auf die Welt loslässt.
Diese Rezension schließt daher nicht mit einem Abraten von der Lektüre, sondern mit einer expliziten Warnung vor diesem Buch. Lesen Sie es nicht, erwägen Sie es nicht, blättern Sie niemals einfach mal rein, fassen Sie es nicht an, schauen sie nicht in seine Richtung. Es darf keine Handlung getan werden, die dem Buch oder dem Autor auch nur ansatzweise vermitteln könnte, dass beide auch nur einen flüchtigen Moment der Aufmerksamkeit wert wären. (mp)

Wertung: 1 von 10 Punkten (1 von 10 Punkten)

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