Dr. Schlüter (DDR-TV-Archiv - GG 40)

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Datum: 09.10.2011 | VÖ: 01.04.2011 | Herausgeber: Studio Hamburg | Kategorie: Film

Manche Themen sind beinahe unerschöpflich und unvergänglich. Aus diesem Fundus schöpft die Kunst seit alters her, gleich welchen Genres, immer wieder neue Impulse und Anregungen. Das wird dann besonders interessant, wenn sich der Blick des Künstlers mit der Realität und den Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft auseinandersetzt.

Der Stoff des 1965/66 produzierten 5-teiligen Fernsehromans "Doktor Schlüter" gehört unbedingt dazu, zeigt er doch auf einfühlsame Weise den Spagat eines jungen Wissenschaftlers zwischen den Verführungen und dem Missbrauch durch die Mächtigen und der eigenen Macht.

Die Handlung beginnt im Deutschland der 1930er Jahre. Der junge Chemiker Dr. Schlüter (Otto Mellies) ist hochtalentiert und motiviert zugleich. Diszipliniert und ehrgeizig betreibt er Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kunststoffchemie und stellt persönliche Dinge total in den Hintergrund. Das ändert sich, als er durch seinen ehemaligen Kommilitonen und Freund, dem Antifaschisten Ernst Demmin (Hans Peter Minetti) Eva(Larissa Lushina) kennenlernt. Für beide beginnt allmählich ein intensives Liebesverhältnis. Eva wird Schlüters große Liebe.
Gleichzeitig erhält Dr. Schlüter die einmalige Chance, seine Forschung im Großunternehmen Vahlberg ungestört führen zu dürfen, unter einer Bedingung. Schlüter muss Felicia (Eva Maria Hagen), die verwöhnte Tochter Vahlbergs (Wolfgang Langhoff) heiraten. Er kann zu Felicia keine persönlichen Empfindungen entwickeln. Getrieben von Gewissensbissen und dem Wissen um den Verrat seiner Liebe zu Eva, geht er auf den Ehevertrag der Vahlbergs ein. Um in diesen erlauchten Kreis aufzusteigen, bleibt ihm keine andere Chance, als die Verbindung mit Eva zu beenden.
Nachdem in Deutschland die Nazis die Macht übernommen hatten, bestand ein größeres Interesse an einer Rüstungsindustrie als an experimenteller Kunststoffchemie. So wird Schlüter zum Spielball von Machtinteressen. Er muss seine Forschungen beenden und ein Chemiewerk in der der Nähe von Ausschwitz übernehmen, lernt die Grausamkeiten des NS-Regimes kennen und wechselt die Seiten. In russischer Gefangenschaft setzt Dr. Schlüter seine Fähigkeiten beim Aufbau der russischen Chemieindustrie ein. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1955 kehrt er zu seiner Frau an den Rhein zurück. Seit dem Tode Vahlbergs ist er die "Nr. 1" im Konzern. Jedoch sind es die alten Nazis und deren Verbindungen, die ihn anekeln und die ihn wieder benutzen und auch ausboten möchten. Erneut wechselt Dr. Schlüter die Seiten, auf der fanatischen Suche nach einem Platz, wo er ungestört forschen, arbeiten und sein Supermaterial entwickeln kann. Er geht in die DDR. Der Aufbau der Chemieindustrie in der jungen DDR braucht Fachleute. Schlüter arbeitet besessen. Auch hier holen ihn die Schatten der Vergangenheit immer wieder ein. Kompliziert wird es, als Schlüter Irene (Larissa Lushina) begegnet. Die Tochter Evas und Demmins ist sehr zurückhaltend ihm gegenüber. Erst als Schlüter endlich auch die wahren Absichten seines langjährigen "einzigen Freundes" Junkers (Günter Grabbert) erkennt, bricht für ihn eine Welt zusammen, zumal die Vahlbergschen Kräfte ihn erpressen und unter allen Umständen zur Rückkehr in den Westen bewegen wollen.

Demmin wird für Schlüter in dieser Lebenskrise wieder einmal zum Rettungsanker. Er ist nach über 30 Jahren endlich unter Menschen angekommen und findet sein, wenn auch sehr spätes persönliches und familiäres Glück.
Die Ideenkonstellation des Buches von Achim Hübner und Karl Georg Egel wendete sich wohl vorrangig an die Männer der Generationen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Ihnen wird eine Möglichkeit gegeben ihre Vergangenheit zu reflektieren und ihren Platz in der neuen, der Nachkriegszeit zu finden. Erst im letzten Teil des Filmromans wird es dann auch zunehmend aktuell und parteipolitischer. Mit der Einsicht Schlüters im besseren Deutschland angekommen zu sein manifestiert sich auch die damalige kulturpolitische Sichtweise in der DDR.

Insgesamt stellt der Mehrteiler den Zeitgeist auf sehr anspruchsvolle Weise dar, in dem es nicht an Bezügen zu Goethes "Faust" oder Positionen zu philosophische Grundfragen fehlt. Der behutsame und langsame dramaturgische Aufbau der Handlung entspricht nicht mehr den heutigen Fernsehgewohnheiten. Wer sich aber die Zeit nimmt, über den Sinn des Lebens, wissenschaftlicher Forschung oder den Wert des eigenen "Ichs" nachzudenken, der wird in den Dialogen zahlreiche Denkanstöße vorfinden. Der Straßenfeger "Dr. Schlüter" machte Otto Mellies seinerzeit einem breiten vor allem "DDR-Publikum" bekannt. Hochkarätig war die schauspielerische Besetzung, auch die der Nebenrollen. Beeindruckend bleibt, wie der damals noch junge Otto Mellies den durch das Leben geprägten und erfahrenen, reifen Mann spielt. Ebenso eindrucksvoll bleibt die schauspielerische Leistung Larissa Lushinas, die gleichermaßen Schlüters geliebte Eva und ihre Tochter Irene darstellte.

Die DVD-Box (4 DVDs) besteht aus einem sehr aufwändig gestalteten und in die Box eingearbeiteten Beiheft. Der persönliche Rückblick des Schauspielers Otto Mellies aus dem Jahre 1989 ist informativ und sehr aufschlussreich. Das Bildformat entspricht dem des Originals im 4:3 Fernsehbildformat. Der in s/w gedrehte Film kommt in einer bestechenden Bildqualität daher. Hinweise auf diverse Mängel der Bild oder Tonqualität sind wohl eher beruhigend und fürsorglich gemeint.

Als Bonusmaterial wird u.a. ein "Portrait eines Schauspielers" (Otto Mellies) von 1960 und "Dr. Schlüter im Gespräch" von 1996 (Schriftsteller Hans Oliva-Hagen) angeboten, alles sehr sehens- und lohnenswerte Beiträge.
Die Aufarbeitung dieses Fernsehromans ins Digitalformat ist bestechend brilliant gelungen. Dafür spreche ich meine absolute Kaufempfehlung aus. (al)

Wertung: 10 von 10 Punkten (10 von 10 Punkten)

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