Ich habe euch nicht vergessen

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Datum: 22.04.2008 | VÖ: 25.04.2008 | Herausgeber: Polyband & Toppic Video/WVG | Kategorie: Dokumentation

Clausewitz bezeichnete schon im 19. Jahrhundert in seinem Werk "Vom Kriege" den Krieg als "die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". Den ersten Band dieser theoretischen Aufarbeitung betitelte er mit der Überschrift "Über die Natur des Krieges". Heute, im 21. Jahrhundert neigt man dazu, solche Anschauungen schon fast als "pervers" einzustufen. Der Krieg als natürliche Angelegenheit? Eine Selbstverständlichkeit, die jeder Mensch in sich trägt? Wirft man einen Blick zurück " 100 Jahre reichen schon " wird man bei genauerer Betrachtung feststellen, dass dieser Gedanke gar nicht so abwegig ist. Denn die Geschichte der Menschheit war immer mit Kriegen verbunden. Kriegerische Auseinandersetzungen wurden sogar als wichtig angesehen und man verband mit ihnen auch zahlreiche positive Dinge. Zur vorletzten Jahrhundertwende verehrte man beispielsweise den heute schon fast vergessenen Nationalhelden der 1. Stunde noch in jeglicher Form: Hermann der Cherusker, der im Jahre 9 nach Christus die Römer durch eine legendäre Schlacht im Teutoburger Wald von den germanischen Grenzen fern hielt. Edelmutig hat man ihn in Erinnerung behalten. Er ging als "Held" in die Geschichte ein. Doch wie grausam und blutig dieser Konflikt war, wird nicht beleuchtet. Warum auch? So eine Geschichte wirkt viel besser, wenn man sie auf das Wesentliche beschränkt, nämlich auf das Ergebnis, was die Schlacht erzielt hat. Nicht-vorhandene Medien wie Fotografie oder Videoaufnahmen helfen dabei, die grausamen Dinge nicht weiterhin zu beachten. So war das über Jahrtausende. Die Menschheit hat sich stets bekriegt. Und Grausamkeiten waren an der Tagesordnung, nicht nur im Kriege. Die im frühen 20. Jahrhundert aufkommenden neuen Medien und der durch die 2. Reichsgründung überkochende Nationalismus im Deutschen Reich sorgte des Weiteren für eine nie da gewesene "Kriegsgeilheit". Durch gezielte Propaganda und Erziehung hat man schon die Jüngsten zum Kriege hin geführt. Da man auch schon lange keinen Krieg mehr verloren hatte und die letzten Kriege immer relativ zügig und dadurch entsprechend "ehrenvoll" abgewickelt wurden, hatte man auch keinerlei negativen Eindruck davon gehabt. Mal abgesehen von nur wenigen Verlusten hatte man auch nur Gutes vom Krieg gehabt. Angefangen von den Napoleonischen Befreiungskriegen, die Freiheit und Unabhängigkeit mit sich trugen, weiter bei dem Deutsch-Deutschen Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich, der zwar das Ende des deutschen Bundes als Folge hatte, dafür aber nur wenige Jahre später im Deutsch-Französischen Krieg für ein lange angestrebtes geeintes Reich sorgte. Allein durch Kriege hat man diese Freiheiten erkämpfen können. Aus diesem Grund war die Gesellschaft damals so sehr auf Krieg eingestimmt. So kann man auch verstehen, warum so viele jubelnd in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Doch aus den Wochen oder Monaten, in denen man wieder zu Hause sein wollte, wurden Jahre. Und unzählige Männer kamen nie wieder heim. Der Krieg hatte neue Dimensionen erreicht, die man sich bis dahin niemals ausgemalt hat. Neue Waffen wurden eingesetzt und die neuen Medien wurden gezielt genutzt. Am Liebsten um aufzuzeigen, wie grausam die Feinde vorgehen, um den Hass in den eigenen Reihen zu schüren.

Diese Dinge haben den Krieg in ein ganz neues Licht gerückt, auch im positiven Sinne. Endlich konnte man zeigen und auch für die Nachwelt erhalten, welche Grausamkeiten im Krieg begangen werden. Unterschiede gibt es sicherlich überall. Manche sind Grausamer, als andere, aber eins haben allesamt gemeinsam, sei es Julius Cäsar, Arminius, Karl V., Napoleon Bonaparte, Kaiser Wilhelm II., Mussolini, Adolf Hitler, Lyndon B. Johnson, Putin oder George W. Bush Senior und Junior: In ihrem Namen wurde gemordet. Menschen wurden gequält, umgebracht, gefoltert und misshandelt. Sowohl "Soldaten" als auch "Zivilisten". Und das 20. Jahrhundert brachte zwar mit sich, dass man einerseits zwar schlimmere Mittel im Krieg einsetzen konnte, aber andererseits eben auch, dass man die Medien nicht nur als Propaganda-Mittel zum Einsatz bringen konnte, sondern auch zur allgemeinen Aufklärung. Man kann nun durch die Medien gezielter gegen Unrecht und den Krieg selbst vorgehen.

Wesentlich war im letzten Jahrhundert gerade der Jude Simon Wiesenthal daran beteiligt, Kriegsverbrechen aufzuklären. Auch er hat die Medien genutzt. Einerseits als Mittel, um Informationen zu sammeln, andererseits um Druck auszuüben, gegen Politiker und Staatsleute, die sich nicht sofort auf eine Zusammenarbeit mit ihm einlassen und somit eindeutig schuldigen Kriegsverbrechern Schutz gewähren. Wiesenthal ist ein Überlebender des Genozid an den Juden im zweiten Weltkrieg und hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, nationalsozialistische Kriegsverbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Er hat den Weg geebnet für Kriegsverbrecherprozesse und menschenrechtliche Bestrebungen. Der Krieg, der früher ein weitestgehender rechtsloser Raum war, bei der im Grunde jeder tun konnte, was er wollte, findet dank Leuten wie Wiesenthal endlich mehr Beachtung auf der ganzen Welt und Kriegsverbrecher werden endlich öfters zur Verantwortung gezogen.

In der Dokumentation des 2005 verstorbenen Menschenrechtsaktivisten, die den Namen "Ich habe euch nicht vergessen" trägt, wird beleuchtet, wie Simon Wiesenthal aufwuchs, wie er von den Nationalsozialisten gefangen genommen wurde und wie er nach der "Befreiung" im Jahre 1945 anfing, die Schuldigen für die Unrechtstaten seitens der Deutschen im zweiten Weltkrieg aufzuspüren. "ngste, einen Film mit übertriebener Gefühlsduselei vor sich zu haben, waren schnell zunichte gemacht. Die Wiesenthal-Dokumentation zeigt objektiv und eindrucksvoll, wie ein Mann seiner Lebensaufgabe begegnet und diese mit voller Leidenschaft zu Ende bringt.

Ein großer Vorteil des Filmes sind die zahlreichen Archiv-Aufnahmen von Simon Wiesenthal. Zahlreiche Interview-Ausschnitte lassen den Eindruck erwecken, dass Simon Wiesenthal selbst durch die Dokumentation führt. Die Erzähler-Stimme, die im Deutschen von Iris Berben übernommen wurde, wird sehr dezent eingesetzt, was die Dokumentation sehr aufwertet. Ergänzt wird das Ganze mit weiteren Interview-Aufnahmen von Mitstreitern von Simon Wiesenthal, Ausschnitten aus Nachrichtensendungen, privaten Aufnahmen von Simon Wiesenthal, Mitschnitte aus der Zeit des Nationalsozialismus und natürlich zahlreichen Fotographien. Es ist auch sehr angenehm, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert und nicht übertrieben oft auf die Ereignisse in den Konzentrationslagern hinweist.

In dieser Dokumentation geht man nicht nur auf den Verlauf des Lebens und der Aufgabe von Simon Wiesenthal ein, sondern auch auf den Menschen. Man beginnt die Intention des Aktivisten nicht nur zu verstehen, sondern auch nachzufühlen.

Der Film endet mit einigen pathetischen Aufnahmen, die ohne Übertreibung unter die Haut gehen und jeden verstehen lässt, dass man für seine Sache einstehen muss, seinem innerem Feuer nachgehen sollte und für das kämpfen muss, woran man glaubt, egal wie schwer es ist. Wiesenthal hatte es nämlich alles andere als leicht. Er verließ sein letztes KL als abgemagerter Häftling, ohne Besitz und ohne Zukunft. Er baute sich Schritt für Schritt ein neues Leben auf und kämpfte für seine Sache, auch wenn er die ersten zehn Jahre mit seiner Aufgabe keinerlei Erfolg hatte und auch keinerlei Gehör fand.

Die DVD-Veröffentlichung der Dokumentation beinhaltet neben dem Hauptfilm Bonusmaterial im Form von Interviews (Iris Berben, Sir Ben Kinsley,…) und den Filmtrailer. Zusätzlich hat man die Möglichkeit neben der deutschen- auch die englische Tonspur zu wählen. Dort fungierte Nicole Kidman als Erzähler. Die Verpackung der DVD ist sehr edel und ist auch äußerst anschaulich gestaltet. Zusätzlich gibt es noch ein ausführliches Beiheft mit Biographien und Informationsmaterial.

"Ich habe euch nicht vergessen" ist nicht nur ein Film über Simon Wiesenthal, über Kriegsverbrecher und Menschlichkeit, sondern ein Zeitdokument des 20. Jahrhundert. Der Beweis stets an die gute Sache zu glauben und für seine Sache zu kämpfen. Wiesenthal zeigt der Welt wie wichtig das ist und wie nachhaltig ein solches Engagement sein kann.

"Ich habe euch nicht vergessen" ist keine weitere "Nazi-Dokumentation", die das kollektive Schuldbewusstsein am Leben erhalten will. Es ist eine Dokumentation über einen großartigen Menschen und über Menschlichkeit. Über Träume, Ziele und Aufgaben. Über Recht, Gerechtigkeit und die Vision einer gerechten und friedlichen Welt. Über einfache Dinge, die leider alles andere als selbstverständlich sind. Aber vielleicht irgendwann selbstverständlich sein werden. (sk)

Wertung: 9 von 10 Punkten (9 von 10 Punkten)

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