Wann protestieren die Gamer gegen ProSieben?

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Datum: 19.09.2011 | Kategorie: Unendliche Weiten der Medienwelt

Als sich die Gamer-Szene wegen eines Beitrags bei RTL echauffierte, hatte ich dafür vollstes Verständnis, möchte nun aber aus Gründen der Fairness und aus meinem angeborenen Gerechtigkeitssinn heraus darauf hinweisen, dass auch Proteste gegen die Konkurrenz von ProSieben angebracht wären.
RTL brachte einen Beitrag, in dem die Besucher der Computerspielmesse "Gamescom" als mehr oder minder sozial isolierte Freaks in stinkigen Schlabberklamotten dargestellt wurden und erntete dafür zu Recht Kritik seitens der Szene.

Wo aber bleiben die ellenlangen Beschwerdemails, in denen die Einstellung des Formats "Das Model und der Freak" bei ProSieben gefordert wird? Ja, ich gestehe, ab und an schaue auch ich mir das an, was man gemeinhin als "Trash TV" bezeichnet " schon allein um mich als Teilnehmerin an Diskussionen über den Niedergang der Kultur aufgrund des schlechten Fernsehprogramms zu qualifizieren. Wer wie ich in erster Linie Literatursendungen, Dokumentationen und Literaturverfilmungen schaut und in seiner Senderliste arte, 3sat und Phoenix deutlich vor RTL, ProSieben und Sat.1 platziert hat, könnte nämlich glatt auf die Idee kommen, mit der deutschen Fernsehlandschaft sei alles in bester Ordnung. Daher sehe ich mir manchmal ganz bewusst Sendungen an, deren Titel mich sonst abschrecken würde, kürzlich eben auch "Das Model und der Freak".

Das Konzept der Sendung funktioniert so: Man nehme einen sympathischen Außenseiter und bringe ihn mit einem Freak, Verzeihung, einem Model zusammen, das aus dem Individualisten innerhalb weniger Tage einen massentauglichen Frauenschwarm macht. Da ich herausfinden wollte, ob es bei der Auswahl der "Freaks" eine Art Muster gibt, sah ich mir die ersten Minuten einiger Ausgaben an. Die meisten der jungen Männer spielen entweder Computerspiele oder mögen Fantasy-Rollenspiele oder Table Top-Games " gerne auch einmal alles zusammen. Außerdem tragen sie vorzugsweise Schlabberklamotten, häufig Bandshirts und wirken recht lässig und alternativ " die Models nennen es lieber ungepflegt. Die Teilnehmer werden unter anderem Durchschnittsfrauen präsentiert, die sich in der Regel in ganz anderen Kreisen bewegen dürften und bekommen dann zu hören, was an ihnen alles nicht passt " zum Beispiel ihr Faible für Computerspiele, Fantasy und Schlabberklamotten.

Fassen wir also zusammen: RTL berichtet etwa fünf Minuten negativ über die Gamerszene und erntet dafür zu Recht herbe Kritik. ProSieben schickt gleich ein ganzes Format auf Sendung, in dem es um nichts anderes zu gehen scheint als um die Verbreitung der Ansicht, Computerspieler und Fantasyfans seien Freaks, die nur durch eine radikale Veränderung die Chance haben, eine Frau kennenzulernen, da sie ja sonst keine haben will. Und wo bleibt der Protest? Gut, vermutlich ist den Gamern ihre Zeit einfach zu kostbar, um sich so etwas anzuschauen und sie haben es noch nicht mitbekommen. Warum aber schauen sie dann qualitativ zweifelhafte Magazine wie "explosiv"? Ich glaube, ich sehe mir eine der Literaturverfilmungen an, die ich auf dem Festplattenrecorder aufgezeichnet habe und flüchte mich wieder in die Illusion einer heilen Fernsehwelt. (ck)