Überall und nirgends �" DVB-T in Deutschland

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Datum: 29.12.2010 | Kategorie: Generation Flachbild

Bis weit in die 1980er Jahre war der terrestrische Empfang in Deutschland in der Regel die einzige Möglichkeit, ein Fernsehbild auf die Mattscheibe zu zaubern. Ob mit Dachantenne oder Zimmerantenne, man musste die Fernsehsender aus dem "ther fischen, denn Kabelfernsehen und Satellitendirektempfang spielten noch keine Rolle. Doch die beiden eben genannten Empfangswege wuchsen im Laufe der Jahre schnell und drängten die Terrestrik zunehmend an den Rand. Heute empfängt nur noch eine Minderheit in Deutschland das Fernsehen über Antenne, aber tot ist dieser klassische Empfangsweg deswegen noch lange nicht. Eins hat die Terrestrik dem Kabel- und Sat-Empfang sogar voraus, die terrestrischen Ausstrahlungen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen in Deutschland bereits vollständig digitalisiert. Davon kann man beim Kabelempfang derzeit nur träumen und auch der Sat-Empfang muss hierzulande noch über ein Jahr auf den analogen Gnadenschuss warten.

Das digitale Antennenfernsehen wird auch als DVB-T bezeichnet, in Deutschland wird es seit Jahren aber auch unter der irreführenden Bezeichnung "Überallfernsehen" angepriesen. Dass in Deutschland DVB-T zumindest technisch gesehen so gut wie überall verfügbar ist, mag zum großen Teil stimmen, aber letztendlich ist es eine Frage des Antennenaufwandes. In manchen Regionen, insbesondere in vielen Ballungsräumen, reicht eine Stabantenne, vielerorts geht es auch mit einer aktiven Zimmerantenne, doch in weiten Teilen Deutschlands benötigt man eine Dachantenne, um überhaupt DVB-T-Signale empfangen zu können. Auskunft darüber geben die Empfangsprognosekarten auf den länderspezifischen Websites des "Überallfernsehens". Dennoch wird häufig der Eindruck vermittelt, als wäre wirklich überall mobiler Empfang mit einer Stabantenne möglich, was von der Realität weit entfernt ist. Kauft man sich z. B. eine DVB-T-Tunerkarte für den Laptop, liegt häufig eine Stabantenne als Zubehör dabei. Aber in vielen Regionen Deutschlands kann man mit einer Stabantenne überhaupt nichts empfangen. Andererseits kann man natürlich nicht erwarten, dass der Tunerkarte eine Dachantenne als Zubehör beigelegt wird.

Ist DVB-T mit einfachem Aufwand empfangbar, kann es eine feine Sache sein, so kann man Zweitgeräte damit betreiben oder hat auch mobilen Empfang mit einem tragbaren Fernseher, etwa im (Bier-)Garten oder im Auto. Da heutzutage praktisch alle neuen Fernsehgeräte einen DVB-T-Tuner eingebaut haben, hat man in der Stabantennen- oder Zimmerantennenzone auch sofort Empfang, wenn man frisch in eine neue Wohnung eingezogen ist, bevor man sich auf einen anderen Empfangsweg festgelegt hat. Ist man aber im Dachantennengebiet und hat die Wohnung keine Gemeinschaftsdachantenne, fallen alle diese Vorzüge natürlich weg, denn nur mit Zimmerantenne oder Stabantenne schaut man dort in die Röhre. Aber wie sinnvoll ist DVB-T-Empfang über Dachantenne überhaupt noch? Nun gut, reichen einem wenige Sender aus, ist man mit einer Gemeinschaftsdachantenne wahrscheinlich zufrieden. Doch welchen Zweck hätte DVB-T als alleiniger Empfangsweg in einem Eigenheim? Schließlich kann man schon mit einer relativ kleinen Schüssel eine zigfache Anzahl an Sendern empfangen. Zumal noch hinzukommt, dass in den Dachantennengebieten häufig nur öffentlich-rechtliche Sender zu empfangen sind. Was den mobilen Empfang betrifft, ist zumindest in der Dachantennenzone der Sat-Empfang deutlich überlegen. Ein Fernfahrer kann sich problemlos eine kleine Schüssel mit einem Saugnapf an die Windschutzscheibe seines LKWs montieren, aber keine sperrige Dachantenne. Für den Betrieb von Zweitgeräten oder als Ersatzempfangsweg ist eine Dachantenne auf dem Eigenheim natürlich noch gut, aber auch für einen anderen Zweck, auf den später noch eingegangen wird.

Das analoge Antennenfernsehen hat man nicht als "Überallfernsehen" bezeichnet, dennoch hätte es diese Bezeichnung eher verdient als das heutige DVB-T. Zwar gab es auch zu analogen Zeiten Gebiete mit schwachem Empfang, doch in den meisten Regionen Deutschlands konnte man mit Zimmer- oder Teleskopantenne wenigstens irgendetwas empfangen, wenn auch vielleicht nur verrauscht. Doch bei DVB-T gibt es keinen schwachen Empfang, es gibt nur entweder Empfang oder keinen Empfang. Somit ist an vielen Orten, wo vorher noch schwacher Empfang möglich war, nun mit gleichem Aufwand gar kein Empfang mehr möglich. Dennoch wurde vor einigen Jahren in einem Fernsehbericht des Hessischen Rundfunks über die Umstellung auf DVB-T suggeriert, dass mobiler Fernsehempfang, z. B. in der Bahn, etwas neuartiges und innovatives sei. Als ob es zu Analogzeiten keinen mobilen Empfang gegeben hätte. Dabei sah die Realität doch eher so aus, dass man in den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland in einem fahrenden Auto auch über längere Fahrtstrecken auf einem Mini-Fernseher mit Teleskopantenne irgendetwas auf dem Bildschirm gehabt hätte, wenn auch nicht immer einwandfrei. Doch wenn man heute mit dem Auto durch Deutschland fahren würde, hätte man mit vergleichbarem Antennenaufwand über weite Strecken nur Funklöcher. Der Fernseher als jahrelanger Begleiter beim Camping war mit der Umstellung auf DVB-T in vielen Regionen auf einmal passé. Zum Glück gibt es Schüsseln.

Wenn man aber erst einmal DVB-T-Empfang hat, überwiegen die Vorteile gegenüber dem früheren Analogempfang in den meisten Fällen. Nicht nur die Anzahl der zu empfangenden Sender ist größer, auch Störungen und Geisterbilder durch Reflexionen gehören der Vergangenheit an. Die digitale Bildqualität kommt zwar nicht immer an die Qualität über DVB-C und DVB-S heran, aber verlustfreie Aufzeichnung, ggf. mit Dolby-Digital-Ton, ist auch über Antenne möglich. Selbst HDTV über Antenne wäre kein Problem, doch in Deutschland wird z. Zt. noch nichts hochauflösendes terrestrisch ausgestrahlt. Bei dem relativ geringen Interesse an DVB-T stellt sich auch die Frage, ob sich das überhaupt lohnen würde.

Allerdings gibt es eine Zweiklassengesellschaft in Deutschland, was DVB-T betrifft. Diese unterscheidet sich darin, ob Privatsender über DVB-T zu empfangen sind oder nicht. Meistens ist dies nur in Ballungsräumen der Fall und so wundert es nicht, dass dort DVB-T überdurchschnittlich populär ist. Somit haben wir die paradoxe Situation, dass das Angebot an digitalem Antennenfernsehen dort am größten ist, wo zugleich der Empfang am einfachsten ist. Das klingt nach einer einfachen Rechnung für die Privatsender, dass sie nur dort auf Sendung gehen wollen, wo möglichst viele Menschen mit möglichst geringem Aufwand erreicht werden können. Doch DVB-T ist für die Sender ein teurer Verbreitungsweg, so dass man sich Fragen muss, ob die terrestrische Ausstrahlung von Privatsendern noch lange Bestand haben wird.

Eine besondere Attraktivität hat der terrestrische Fernsehempfang seit je her in Grenzgebieten. Das ist mit DVB-T im Prinzip noch genauso, nur mit dem Unterschied, dass die Grenzgebiete zumeist deutlich kleiner geworden sind. Hat man in den Nachbarländern zu Analogzeiten noch weit über die Landesgrenzen hinausgestrahlt, sind die Sendeanlagen bei der Umstellung auf DVB-T oftmals zu messerscharfen Richtdiagrammen übergegangen. Aber nicht deshalb, weil die Fernsehsender unserer Nachbarländer uns den Empfang nicht gönnen würden, sondern aus lizenzrechtlichen Gründen. Die Sender sind dazu angehalten, dass ihr Programm möglichst nicht über das Landesterritorium hinausstrahlt. Das fordern die Rechteinhaber, damit sie in allen Ländern einzeln Lizenzgebühren kassieren können. Wo vorher relativ einfach Empfang aus benachbarten Ländern möglich war, muss heute teilweise enormer Aufwand betrieben werden, um noch Signale aus dem Ausland zu empfangen, wenn es überhaupt noch klappt. Auch der Empfang von Überreichweiten ist schwieriger geworden. Doch damals wie heute ist die Bodenseeregion besonders begünstigt, denn auch über DVB-T können dort Sender aus der Schweiz und Österreich empfangen werden. Wohnt man sehr weit weg von der Grenze, dann denkt man entweder erst gar nicht darüber nach, ob DVB-T-Empfang aus dem Nachbarland möglich ist oder fährt schwere Geschütze auf wie Daniel Paul in der Oberpfalz. Dank einer Vierergruppe aus UHF-Yagi-Antennen kann er dort die ORF-Sender aus 170 Kilometer Entfernung empfangen. Aber einen solchen technischen Aufwand betreiben heutzutage nur noch sehr wenige Menschen. Zuletzt hat man solche Konstruktionen oder sogar noch wesentlich aufwendigere Aufbauten zu DDR-Zeiten im sogenannten Tal der Ahnungslosen gesehen. Damals hat man dort alles mögliche dafür getan, um Fernsehen aus dem Westen sehen zu können.

Der Antennenempfang hat in Deutschland stark an Bedeutung verloren und selbst von den zahlreichen Antennen, die man noch auf vielen Dächern sehen kann, sind viele vermutlich nicht mehr im Betrieb und erinnern an eine vergangene Zeit. Aber dieser Vergangenheit muss man eigentlich nicht wirklich hinterhertrauen. Auch wenn es für technisch Interessierte heutzutage noch reizvoll ist, Fernsehsignale aus dem "ther zu angeln. So sind DVB-S und DVB-C dem digitalen Antennenfernsehen doch haushoch überlegen. DVB-T hat zwar noch eine gewisse Berechtigung, wird aber hierzulande doch sehr halbherzig umgesetzt. (jh)