Angezapft

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Datum: 19.06.2010 | Kategorie: Unendliche Weiten der Medienwelt

Diese Fußball-WM ist wieder einmal ein riesiges Medienereignis, an dem die ganze Welt teilhaben will. Auch das nordkoreanische Staatsfernsehen möchte die WM übertragen, vor allem, da in diesem Jahr zum ersten Mal seit 44 Jahren wieder die nordkoreanische Nationalmannschaft mitspielen darf. Bei der letzten WM in Deutschland durfte Nordkorea noch kostenlos das Signal des südkoreanischen Senders SBS übernehmen. Dieses Mal sorgten politische Spannungen zwischen den geteilten Republiken jedoch dafür, dass SBS die Nutzung von deren Sendesignal durch das nordkoreanische Fernsehen nicht erlaubt hat. Doch das hat Regime in Nordkorea nicht interessiert, man hat dort am folgenden Tag eine Aufzeichnung des Eröffnungsspiels gezeigt. Es ist unklar, wie man an das Signal gelangt ist, aber man vermutet, dass das Satellitensignal von SBS einfach angezapft wurde. Der südkoreanische Sender wirft dem nordkoreanischen Staatsfernsehen Sendepiraterie vor.

Dies ist jedoch nicht das erste Mal, dass bei einem internationalen Sportereignis das Signal eines fremden Senders angezapft wurde, um die Übertragung der Spiele zu ermöglichen. Außerdem kommt ein solches Vorgehen nicht nur in menschenverachtenden Diktaturen wie Nordkorea vor, auch in demokratischen Staaten macht man, wenn es denn sein muss, von dieser Anzapflösung Gebrauch. Erinnern wir uns noch einmal zurück an die Fußball-EM 2008 in Österreich und der Schweiz, genauer gesagt an das Halbfinalspiel Deutschland-Türkei. Damals sorgte ein Unwetter über Wien für einen Stromausfall im dortigen Internationalen Fernsehzentrum, so dass das Sendesignal ausfiel. Die ZDF-Zuschauer mussten sich daraufhin eine Weile mit der Tonübertragung des Spiels begnügen, zu sehen bekamen sie nur ein Standbild mit dem Foto des Kommentators Béla Réthy. Dann war das Bild wieder zu sehen, um kurz darauf erneut zu verschwinden. Als das Bild zum zweiten Mal zurückkehrte, war jedoch etwas anders als vorher. Nun konnte man im ZDF das Logo des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens erkennen. Die Übertragung des Schweizer Fernsehens funktionierte dank einer direkten Glasfaseranbindung an das Basler Stadion einwandfrei, so dass man nur deren Signal übernehmen brauchte. Auch der ORF schaltete das Bild des Schweizer Fernsehens auf, wenn auch etwas später als das ZDF. Das Schweizer Fernsehen erhielt darauf zahlreiche Dankesschreiben per E-Mail. Kurz nach dem Spiel wurde sogar die private Website DANKE SF eingerichtet, auf der sich viele Fans eingetragen hatten.

Blicken wir aber noch weiter zurück in die Vergangenheit, nämlich auf die Fußball-WM im Jahr 1954, dem ersten wirklich großen Medienereignis im noch jungen Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland. Fernsehgeräte waren damals noch selten, so dass man sich häufig in Kneipen versammelte, um die Spiele zu verfolgen, gewissermaßen der Vorläufer von Public Viewing. Auch damals kam es zu einem Ausfall des Sendesignals, genauer gesagt des Eurovisionssignals im ARD-Stern in Frankfurt. Die Eurovision steckte damals auch noch in den Kinderschuhen, erst ein Jahr zuvor wurde die Krönung der britischen Königin Elisabeth II. als erste Eurovisionssendung überhaupt in ganz Europa auf die Bildschirme gebracht. Nun war die Leitung zum Sternpunkt in Frankfurt, von wo aus normalerweise das Signal an alle ARD-Sender in der Bundesrepublik weiterverteilt wurde, ausgefallen. Somit schauten unzählige deutsche Fußballfans erst einmal in die Röhre. Doch die Techniker vom Fernsehsender auf dem Wendelstein in den bayerischen Alpen wollten sich damit nicht abfinden und haben schnell eine Lösung gefunden. In Österreich funktionierte die Übertragung nämlich noch einwandfrei, so dass sie einfach das Signal des ORF übernahmen und auf den Sender Wendelstein aufschalteten. Jetzt hatten immerhin die Zuschauer in Oberbayern wieder ein Bild. Doch auch an anderen bayerischen Sendestandorten stellte man schnell fest, dass der Wendelstein wieder ein Bild hatte und sie übernahmen das Signal einfach auf ihren Sender. So kam es zu einer regelrechten Kettenreaktion, bis in ganz Bayern und schließlich sogar in Südhessen das Signal des ORF über die ARD-Sender ausgestrahlt wurde. Der Feldberg im Taunus übernahm ebenfalls dieses Signal, was man nun auch im nahegelegenen Frankfurt im ARD-Sternpunkt feststellte. Da das Eurovisionssignal immer noch nicht funktionierte, schaltete man im ARD-Stern einfach das Sendesignal vom Feldberg zur Weiterverbreitung an die ARD-Sender auf. Jetzt konnte man in der gesamten Bundesrepublik endlich wieder das Spiel verfolgen, aber das dicke Ende kommt erst noch. Am Sender Wendelstein, wo alles angefangen hatte, stellte man fest, dass der ARD-Stern in Frankfurt wieder ein Signal hatte. Man ging wohl davon aus, dass die Eurovisionsleitung wieder funktionierte und konnte nicht ahnen, dass es sich dabei um das österreichische Signal handelte, das über eine improvisierte terrestrische Kette in der Mainmetropole ankam. Also schaltete man am Wendelstein wieder das Signal des ARD-Stern auf den Sender und erzeugte somit eine Rückkopplung. Nun schauten die Zuschauer in der ganzen Bundesrepublik erneut in die Röhre. Im Prinzip war es ja eine gute Idee, durch Anzapfen des ORF-Signals den deutschen Zuschauern das Spiel weiterhin zeigen zu können, doch da wohl alle beteiligten Techniker auf eigene Faust handelten und sich nicht untereinander absprachen, ging das Experiment schief.

Heutzutage würde eine derartige Panne wohl nicht mehr passieren, da man sich nicht mehr auf terrestrische Übertragungswege stützen muss, Verbindungen über Satellit und Glasfaser stehen zur Verfügung, obwohl diese natürlich auch mal ausfallen können. Darüber hinaus würde man sich in einem solchen Fall mit den beteiligten Sendeanstalten und Übertragungsdiensten besser absprechen, denn eine ungefragte Übernahme eines Sendesignals aus einem Nachbarland wäre heutzutage alleine schon wegen der Frage der Ausstrahlungsrechte nicht zulässig. (jh)