Als bunte Bälle durch das Bild flogen

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Datum: 08.03.2010 | Kategorie: Generation Testbild

Als Kind habe ich mich immer darüber gewundert, warum in der Fernsehzeitung Sender wie RTL plus und Sat.1 oder auch wie Eins Plus und 3Sat abgedruckt waren, wir aber diese Sender gar nicht sehen konnten. Eines Tages sollte es anders kommen, denn wir bekamen Kabelanschluss. Die Überraschung war gelungen, denn es erhöhte sich nicht nur die Zahl der Sender, auch das Privatfernsehen hielt nun in unsere gute Stube Einzug. Meine erste Begegnung mit dem Privatfernsehen war das Balkentestbild von Sat.1 auf dem Schwarzweiß-Fernseher meiner Großmutter, ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Das war für mich damals eine schöne Zeit, endlich mehr Sender! Es muss etwa 1987 gewesen sein. Vor allem die privaten Sender waren damals faszinierend für mich. Zu dieser Zeit hatten Sat 1 und RTL plus nur einige Stunden Programm am Tag. Das interessante an diesen neuen Sendern war, dass dort einfach einiges anders war. Im Ersten war Onkel Otto in der Werbung zu sehen und im ZDF die Mainzelmännchen. Bei Sat.1 flog zwischen den Werbespots der bunte Sat1-Ball durchs Bild. Inzwischen ist ja von dem einstigen bunten Ball nicht mehr viel übrig geblieben. Auch die Werbespots waren ganz andere als bei ARD und ZDF. Dass sich die Privatsender durch Werbung finanzieren, war mir damals noch nicht bewusst und der Unterschied zu den öffentlich-rechtlichen Programmen war zu dieser Zeit noch nicht so groß, was die Häufigkeit der Werbung betrifft. Damals zeigten die Privatsender noch längst nicht so viel Werbung wie heutzutage, Spielfilme hatten nur eine Werbeunterbrechung. Interessanterweise wurde aber damals in den Fernsehzeitungen die Länge des Spielfilms mit und ohne Werbung angegeben. Faszinierend fand ich auch das Testbild von RTL plus, weil es völlig anders aussah als jenes der öffentlich-rechtlichen Sender. Aber andererseits war das Programm von Sat.1 und RTL plus zur damaligen Zeit dem der Öffentlich-Rechtlichen auch wieder recht ähnlich. Auch dort kamen Nachrichten, Spielfilme, Serien und Magazine und auch dort waren Ansager und Programmtafeln, vor allem aber ständig eingeblendete Uhren zu sehen. Vieles, was damals auf den großen Privaten lief, war auch nicht neu. Serien wie "Bonanza" oder "Raumschiff Enterprise" liefen schließlich auch schon im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es war weniger der Inhalt, es war die Aufmachung der neuen privaten Sender, die damals die Faszination ausmachte. Auf jeden Fall wurden die Privaten zu dieser Zeit recht häufig eingeschaltet. Vor allem die Nachrichtensendungen "Sat.1 Blick" und "RTL aktuell" liefen bei uns regelmäßig.

Nicht nur Privatsender kamen neu hinzu, als wir Kabelanschluss bekamen. Auch die öffentlich-rechtlichen Kulturkanäle Eins Plus und 3Sat waren nun mit dabei. Viel hatte man damals von diesen Sendern aber noch nicht, denn 3Sat startete sein Programm erst um 18 Uhr und Eins Plus sogar erst um 19 Uhr. Aber bei den neuen Sendern unterschieden wir damals gar nicht zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. In unserer Familie war es üblich, die neu hinzugekommenen Sender als "Satellitenprogramme" zu bezeichnen. So hatten wir nun zunächst zehn Sender, was schon doppelt so viel war wie vorher. Das wir in Wirklichkeit noch deutlich mehr Sender hätten empfangen können, war uns nicht bewusst, da unser Fernseher kein Kabeltuner hatte. Als wir uns dann einen Videorecorder anschafften, sahen wir, wie viele Sender tatsächlich in unser Kabelnetz eingespeist wurden, in den späten 1980ern waren es 18. Darunter waren weitere Privatsender, etwa Tele 5. Das war damals der einzige deutsche Sender, der rund um die Uhr auf Sendung war. Auch das Programm von Tele 5 war völlig anders als das, was man bisher gewohnt war, es war die erste Begegnung mit Musikfernsehen. Dann gab es noch den Sender Eureka, der Vorläufer von Pro Sieben. Und nun konnte man auch erstmals fremdsprachige Sender zu empfangen, etwa TV5 Europe und Super Channel. Darüber hinaus war auch DDR 1 dabei, in relativ schlechter Bildqualität und auf unserem Fernseher, der kein SECAM Ost beherrschte, nur in schwarz-weiß. Interessanterweise war auch die ARD noch zwei weitere Male dabei mit unterschiedlichen Regionalprogrammen. Erst damals wurde mir bewusst, dass Onkel Otto nur in Hessen lief und dass im WDR-Sendegebiet stattdessen Ute, Schnute und Kasimir und in Bayern die Löwen während der Werbung zu sehen waren.

Es war auf Dauer etwas lästig, dass man bestimmte Programme nur über den Videorecorder sehen konnte. Es dauerte noch bis etwa Anfang der 1990er, als wir uns einen neuen Fernseher mit Kabeltuner anschafften, wo man dann alle verfügbaren Sender in einem Gerät durchschalten konnte. Die Zahl der neuen Sender wuchs in den folgenden Jahren recht langsam. Es dauerte schließlich noch einige Jahre, bis man knapp über 30 analoge Sender via Kabel empfangen konnte. Auch der Einzug des digitalen Zeitalters hat sich ja gerade im Kabel äußerst schleppend vollzogen und hing dem Satelliten um mehrere Jahre hinterher. Anfangs gab es darin nur die öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle und als Pay-TV das Premiere-Paket. Die meisten Kabelnutzer mussten bis Mitte der 2000er Jahre warten, bis die Privatsender digital verfügbar waren. Erst dann vollzog sich eine digitale Explosion der Sender im Kabel, die sich über Satellit schon einige Jahre zuvor vollzogen hat und heute noch anhält.

Rückblickend war es auf jeden Fall interessant, die Pionierzeit des Privatfernsehens miterlebt zu haben. Das frühe Privatfernsehen strahlte eine gewisse Faszination aus, die aber keineswegs entsprechende Rückschlüsse auf die damalige Qualität des Programms zulässt. Aber auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat seit dem Zeitalter des Kabelfernsehens sein Programmangebot enorm ausgedehnt und weiterentwickelt. (jh)