Bellaria - So lange wir leben!

Man kennt sie nur zu gut, die alten Sprüche. "Wie die Zeit vergeht", "Gesundheit ist doch das Wichtigste" oder auch "Die besten Geschichten schreibt das Leben". Sie wirken bieder, abgedroschen und aufgrund der vielfachen Verwendung achtet man als Empfänger der Nachricht kaum noch auf den wahren Kern dieser Aussagen. Mit zunehmenden Alter und zunehemnder Lebenserfahrung merkt man dann aber nicht nur immer mehr, wie wahr diese Sprüche sind, sondern erwischt sich auch immer häufiger dabei, wie man diese Weisheiten selbst fortwährend von sich gibt und sorgt selbst dafür, dass die Abgedroschenheit erhalten bleibt.


Manche Feinheiten und tiefere Wahrheiten des Lebens kann man also erst lieben und schätzen lernen, wenn man auch eine gewisse Lebenserfahrung aufweisen kann. So ist zumindest mein Eindruck. Und in Bezug auf Film und Kino gehört die oben erwähnte Tatsache, dass die besten Geschichten das Leben schreibt, zu einen der wichtigsten Erkenntnisse. So lassen sich die größten Filmemacher oft vom Leben selbst inspirieren. Nicht selten fließen eigene Erlebnisse in ein Filmwerk ein, oder aber zeitgeschichtliche Begebenheiten.


Möchte man Geschichten aus dem Leben weitestgehend (soweit das überhaupt möglich ist) unverfälscht wiedergeben, ist das Genre der Dokumentation im filmischen Bereich wohl das beste handwerkliche Mittel dafür. Der Dokumentarfilm ist ein leider viel zu wenig beachtetes Genre. Umso erfreulicher ist es, wenn sich Regisseure trotzdem an dieses Fach wagen und Werke hinterlassen, die ihre Zeit noch lange überdauern werden.


"Wos is heute schon wie es woar? Goarnix!"


Die Dokumentation, die ich heute rezensieren darf, trägt den Namen "Bellaria" und hat auf mich schon vor vielen Jahren eine tiefe Wirkung hinterlassen. Es muss Ende des Jahres 2004 gewesen sein (eine kleine Internet-Recherche hat mir soeben verraten, dass es wohl am Freitag, den 9. Dezember 2004 war, da lief der Film von 23:30 Uhr bis 1:05 Uhr im WDR – eingeschaltet habe ich wohl erst nach Mitternacht). Wenn ich mich richtig erinnere, wartete ich darauf, dass ich "Domian" im TV laufen lassen konnte und bin unverhofft auf diese Filmperle gestoßen. Aber worum geht es?


Wir befinden uns in Wien im Jahre 2000. Das "Bellaria" ist ein kleines Programmkino, das sich in Wien dank seines kleinen aber treuen Besucherkreises mit seinem sehr hohen Durchschnittsalter halten kann. Es sind Fans von deutschen Filmen der 30er und 40er Jahre, aus einer Zeit, als die sogenannten UFA-Stars gefeierte Publikumslieblinge waren und das Kino ein Garant war für Musik, Charme und gute Laune. Filme dieser Zeit haben eine heile Welt gezeichnet, die es damals wie heute nicht gab, die man sich aber gerade in Verbindung mit dem Charme der alten Zeit, der Mode, der Umgangsformen usw. heute besonders gerne anschaut, um sich vom Alltag ein wenig ablenken zu können. Eben der Effekt, den heute noch die Heinz-Erhardt-Filme, die Immenhof-Filme und die Pauker-Filme haben, die Feiertags und Sonntags noch in den 3. Programmen mit anhaltenden Erfolg laufen.


"Die Traumwelt Film. Heit is nix mehr zum Träumen"


Dieser Film ist eine Meisterleistung. Denn das "Bellaria"-Kino hätte man erfinden müssen, wenn es nicht schon existiert hätte. Und eigentlich ist es ja so naheliegend, darüber eine Dokumentation zu machen, so ein Kleinod zu finden und dann tatsächlich eine so liebevolle Doku darüber zu drehen, das muss erst einmal vollzogen und gut umgesetzt werden. Und das ist dem Regisseur Douglas Wolfsperger auf ganzer Linie gelungen!


Gedreht wurde die Dokumentation im Jahr 2000, also kurz nach der Jahrhundert- und gleichzeitig Jahrtausendwende. Die alte Zeit rückte in jenen Jahren noch weiter zurück und den wenigen Widerständlern gegen Modernität und Degeneration läuft auch immer mehr die Zeit davon. Bei diesen Personen handelt es sich um die Zuschauerschaft des "Bellaria"-Kinos, die sich "ihre" Filme nicht nehmen lassen, ihre "gute alte Zeit" nicht schlecht reden lassen und ein Bollwerk sind gegen schlechten Geschmack.


Zellebriert wird dies mit jedem Kinobesuch. Man macht sich schick, zieht sich stilvoll an – ob Pelz, Hut, Anzug oder extravagant. Alles ist aufeinander abgestimmt und wenn das Geld knapp ist, dann wird überall gespart, nur nicht beim Kinobesuch. Das lässt man sich nicht nehmen! Denn das ist für manchen noch die einzige Freude, die einem geblieben ist. Nicht selten ist der Ehepartner schon verstorben oder man hat ähnliche Schicksalsschläge zu verkraften.


"Heidzutage gibts ja nur Tschimbum und lauter Nackte. Des interessiert mich nicht"


Der Film ist reich an unterschiedlichen Facetten, die ihn sehenswert machen. Dazu gehört in erster Linie die "Zeitkapsel Bellaria" an sich, die als Kontrast zum damaligen modernen Wien des Jahres 2000 agiert und den Zeitenwandel dokumentiert. Dann ist natürlich auch der filmgeschichtliche Aspekt interessant. Das Herz der Dokumentation sind aber ohne Frage seine Protagonisten. Die Besucher des "Bellaria"-Kinos. Allesamt Originale. Allesamt nicht mehr die Jüngsten und nur wenige Jahre später allesamt nicht mehr am Leben. Sie wirken aus der Zeit gefallen und können damit uns aber auch wieder ein Vorbild sein, seine Leidenschaft zu leben und das Leben und sein Umfeld so zu gestalten, wie man es möchte.


Wolfsperger schafft es mit viel Feingefühl die Protagonisten offensichtlich so zu dokumentieren, wie sie wirklich waren und ihnen mit genug Respekt zu begenen, damit sie sich für dieses Filmprojekt öffnen. Und das ist wahrlich nicht einfach. Die große Kunst eines Dokumentarfilmers ist es, dafür zu sorgen, dass die Protagonisten vergessen, dass eine Kamera im Raum steht. Und so beginnen die Wiener Originale aus ihrem Leben zu erzählen. Über ihre Schicksale zu berichten und ihrer Leidenschaft zu frönen. Diese Begeisterungsfähigkeit überträgt sich auf den Zuschauer und so beginnt man die Protagonisten immer mehr zu verstehen und in ihre Welt einzutauchen, begleitet von der stimmigen Musik von Haindling. Man möchte an dieser Stelle am liebsten jeden einzelnen dieser Protagonsiten näher beschreiben, einfach jeden einzelnen gerecht werden, was in so einer Rezension natürlich nicht möglich ist. Im Rahmen einer Dokumentation aber auch nicht, dennoch ist es gelungen, einige dieser "Bellaria"-Stammgäste liebevoll und würdevoll zu portraitieren.


"Homs des sölber gmocht die möhlspeiß?"


Einen kleinen Höhepunkt hat der kurzweilige Film dann am Ende zu bieten, als kein geringerer als Karl Schönböck zu einer Kinovorführung inklusive Autogrammstunde ins "Bellaria" kommt. Es sollte eine seiner letzten öffentlichen Auftritte werden, er verstarb im März des Jahres 2001. Im Rahmen dieser Veranstaltung trifft man auch noch einmal auf die nicht unbekannten Tenbuß-Zwillinge, zwei berühmte Autogrammjägerinnen, die nicht zum "Bellaria"-Stammpublikum gehören, trotzdem perfekt in die Runde passen.


Die DVD zum Film ist schlicht gestaltet und ausgestattet mit allen nötigen Informationen. Ein Beiheft oder Beiblatt ist nicht zu finden. Im Innenleben der Hülle befindet sich neben der DVD eine Werbebroschüre von Edition Salzgeber und durch das durchsichtige Plastik kriegt man noch ein paar DVD-Empfehlungen dargeboten. Auf der DVD befindet sich neben dem Hauptfilm und der Kapitelauswahl eine "Extras"-Rubrik mit dem Kinotrailer zur Dokumentation, einer Fotogalerie in Form einer Slideshow sowie einige Texttafeln ("Biografie des Regisseurs", "Der Regisseur über den Film", "Preise", "Pressestimmen" & "Festivals"). Ein besonderer Leckebrissen ist ein Ausschnitt vom Bayrischen Filmpreis mit der Laudatio von Christiane Hörbiger zu "Bellaria". Hinzu kommt noch die Rubrik "Preview" mit DVD-Trailer.


"Die Gegenwart ist nicht die Zeit für mich"


Die Jury des Bayrischen Filmpreises hat "Bellaria" gewürdigt mit den Hinweis, dass die Dokumentation weniger eine Hommage an das Kino ist, sondern mehr eine Hommage an den Zuschauer. Und das trifft den Kern der Sache ganz gut.

"Bellaria – So lange wir leben" ist ein Wiedersehen mit alten UFA-Stars wie Karl Schönböck, Hans Moser oder auch Johannes Heesters. Die wahren Stars deses Films sind aber die Stammgäste des Kinos, darunter Originale wie der ehemalige Varietekünstler Ernst Weizmann oder auch die Kunstpfeiferin Jeanette Baroness Lips von Lipstrill (eigentlich Rudolf Schmid). Eine Generation, die heute fast komplett ausgestorben ist. Die in diesem Film aber eine einzigartige Würdigung erhält.


Wertung: 9 von 10 Punkten
Autor: Sebastian Kuboth

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Bellaria - So lange wir leben!


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