Spielzeugparade vom 23. Dezember 1938

Die Mutter von Herrn Schumann war ebenfalls 1925 geboren und ein glühender Fan von Carmen gewesen. Michael Sobotta besaß noch sieben weitere Farbdias aus der Fernsehsendung „Spielzeugparade“ und unterstützte die Idee, die Bilder zu entwickeln und Carmen mit diesem außergewöhnlichen Fund anlässlich ihres 96. Geburtstages am 30. Oktober 2021 zu überraschen.


Mit einer Mappe voller Farbfotos im DIN A4 Format machte ich mich also Anfang November auf den Weg nach Berlin und von dort nach Brandenburg an der Havel, wo Carmen seit 2016 mit ihrem Sohn Hans-Peter lebt, der sich liebevoll um sie kümmert. Aus dem verregneten Novemberwetter ging es hinein in ein gemütliches Wohnzimmer, wo ich ihr die Bilder nachträglich zum Geburtstag überreichen konnte.

Die Überraschug war wahrlich gelungen, und bei einer Tasse Tee erzählte Carmen mit gestochen scharfer Erinnerung, wie sie schon ab 1936 im ersten Fernsehstudio des Senders Paul Nipkow Berlin in der Rognitzstraße 8 auf einem Tisch steppen musste, als die kleine Aufnahmekabine stockdunkel und man vom grellen Abtastlicht völlig geblendet war. An den Tischkanten waren extra weiße Begrenzungsstreifen für sie angebracht, damit sie nicht herunterfiel. Ab Herbst 1938, im neuen Studio am Theodor-Heuss-Platz 7-9, war es dann wie auf einer kleinen Bühne, dafür sorgten die starken Scheinwerer für eine unerträgliche Hitze.

Die Schwarz-Weiß-Übertragung der „Spielzeugparade“ fand am Freitag, den 23. Dezember 1938 um 20.40 Uhr statt. Die Farbdias wurden während der Sendung von einem leitenden Mitarbeiter der Reichspost aufgenommen, um den neuen elektronischen Studiobetrieb fotografisch zu dokumentieren. Am Abend vor Weihnachten hatte man ein Familienprogramm mit Kinderstars organisiert und die Bühne mit Käthe-Kruse-Puppen, Stofftieren, Schaukelpferden und Spielzeugeisenbahnen dekoriert. Die Gesamtleitung hatte Bruno Reisner, und musikalischer Leiter war Rio Gebhardt.


Die gerade 13-jährige Carmen stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Gipfel ihrer künstlerischen Karriere.

Sie hatte ihren ersten Film Monika gedreht, hatte als Stimme von Shirley Temple gerade mit den Filmen Shirley auf Welle 303 und Heidi ihre sechste und siebte Synchronisation fertiggestellt, und im Zuge dessen drei weitere Platten für die Deutsche Grammophon aufgenommen. Damit war sie insgesamt auf elf Schellackplatten singend und teils auch steppend zu hören, und bekam als beliebter Kinderstar körbeweise Fanpost.


In ihrem ersten Auftritt an diesem Abend sang und steppte Carmen auf einer Holzplatte das neue „Soldatenlied“ aus dem Film Shiely auf Welle 303. Später sang sie ihr bekanntes „Polly-Wolly-Doodle“ aus Der kleinste Rebell, welches sie auf ihrer 6-saitigen Ukulele-Gitarre begleitete, und endete dann passend zum Anlass mit „Mein Weihnachtswunsch“ aus Sonnenscheinchen.


Auf den Fotos erkannte Carmen auch die anderen Mitwirkenden der Sendung wieder, wie die 12-jährige spanische Tänzerin und Sängerin Amelita España, die 1938 und 1939 in Berlin einige Schallplattenaufnahmen mit verschiedenen Orchestern für Imperial machte (u.a. „Kastagnetten“ von Ralph Maria Siegel). Außerdem den jungen Schauspieler Wolfgang Kieling (1924-1985), der damals noch Sopran sang. Das Xylophon bespielte der Virtuose Kurt Engel (1909-1967), mit dem Carmen oft aufgetreten war, und den sie „Kurtchen“ nannte.


Auf dem letzten Ensemble-Bild konnte Carmen noch am linken Rand Leopold Hainisch (1891-1979) identifizieren, einen österreichischen Schauspieler, Sänger und Filmregisseur, der zu dieser Zeit beim Fernsehsender arbeitete. Auf dem gleichen Bild sind außerdem rechts Elisabeht Wilde (Sopran) und Franz Wolf (Bariton), als gefederter „Papageno“ aus Mozarts Zauberflöte, zu sehen. An die drei Mädchen aus der Gymnastikgruppe hatte Carmen dann keine Erinnerung mehr.


Schnell waren die Stunden verflogen, und Carmen zeigte mir noch ihr Haus. „Da müsste ich etwas aufräumen“, meinte sie, „aber dan denke ich wieder, das lohnt sich ja gar nicht.“ Zum Abschied ließ sie mich noch wissen, dass sie sowieso vorhat, die 120 zu erreichen, und wir uns deswegen sicher wiedersehen werden, wenn mein Buch mit ihrer Biographie endlich erschienen ist. Dann hielt sie kurz inne: „Wenn ich aber 120 Jahre alt werde, dann lohnt es sich ja vielleicht doch noch, aufzuräumen!“ Im Nieselregen machte ich mich wieder auf den Weg nach Berlin, wo weitere interessante Begegnungen auf mich warteten.


Dank der Recherchen von Klaus Schumann ist nun in Farbe belegt, dass Carmen Lahrmann eine Fernsehpionierin der ersten Stunde war und heute zu den letzten Zeitzeuginnen der frühen Fernsehgeschichte gehört.


Carmen Lahrmann & Uwe Meusel im Jahr 2021


Die Farbdias stammen von Michael Sobotta aus Berlin.


Der Text und das aktuelle Foto mit Frau Lahrmann von Uwe Meusel aus Freiburg.


Erschienen in German Tap Magazin 4/2021 - Dezember 2021

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