Günter Gaus - Die klassischen Interviews, Set A: Politik 1963 - 1972

Es gibt wohl nichts interessanteres als Gespräche. Ob es im Alltag ist, bei gemütlichen Zusammensein oder auch im Fernsehen. Die hierfür entwickelte "Talkshow" ist ein ebenso einfaches wie effektives Fernsehformat. Durch die Talkshows der privaten Fernsehsender in den 90er Jahren und auch in den Vereinigten Staaten ist diese Art von TV-Programm ein wenig in Verruf geraten. Außerdem sinkt die Qualität der Gesprächskultur in heutigen Polit-Talkshows und auch in normalen Talkshows der öffentlich-rechtlichen dramatisch, was äußerst schmerzlich ist. Aber zumindest gibt es mit der "NDR Talkshow", "Nachtstudio" oder "3 nach 9" auch heute noch hervorragende Gesprächsformate mit einer passenden Gesprächskultur im deutschen Fernsehen. Lediglich was die politischen Gespräche angeht, scheint es kaum Hoffnung auf Besserung zu geben...


Dies war einmal anders. Noch bevor die erste "offizielle Talkshow" namens "Je später der Abend" mit Dietmar Schönherr im Jahr 1973 auf Sendung ging, gab es schon Polit-Gesprächssendungen im deutschen Fernsehen. Bestes Beispiel ist mit Sicherheit die Reihe "Zur Person" (später u.a. auch "Zu Protokoll") mit Günter Gaus als Moderator. Der Journalist, Politiker, Diplomat und Publizist Gaus eignete sich hervorragend für ein solche Format. Im Gegensatz zu den meisten heutigen Shows dieser Art war es bei Günter Gaus so, dass er alleine mit den jeweiligen Leuten gesprochen hat. Somit redeten sich die Politiker wie heute nicht die ganze Zeit dazwischen, sondern man hatte die Möglichkeit, sich als Zuschauer einen eindringlichen, ehrlichen und ausführlichen Einblick in die Gedankenwelt und die Biographie der jeweiligen Persönlichkeiten zu verschaffen.

Beim Betrachten dieser Sendung wird man sehr schnell feststellen, dass die damaligen Persönlichkeiten noch nicht so Inhalts- und Farblos waren, wie es heute leider weitestgehend der Fall ist. Auch wenn man meinen müsste, dass Politiker wie Adenauer in den besetzten Jahrzehnten nach den Krieg weniger offen sprechen konnten, als es heute der Fall ist, scheint es genau anders herum zu sein. Es ist erstaunlich wie ehrlich die Politiker sich über die damals aktuellen Themen äußern. So werden Sachen angesprochen, die von heutigen Politikern undenkbar wären. Dass die Politiker schon damals untergeordnet waren, was die Alliierten Machthaber angeht, und sie aus diesem Grund auch nicht alles sagen konnten und durften, liegt auf der Hand. Trotzdem oder gerade deswegen sind die Gespräche gerade aus heutiger Sicht besonders interessant und spannend.


Die Firma 101 Pixel hat eine Auswahl dieser frühen Gespräche von Günter Gaus im Jahr 2005 erstmals auf DVD veröffentlicht und somit eine große Kulturelle Arbeit geleistet. Denn diese Interviews sind ein fester Bestandteil deutscher Geschichte und aus diesem Grund nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten interessant, sondern für jeden, der einen tieferen Einblick in die Geschichte des letzten Jahrhunderts sucht.

Bisher sind zwei Editionen erschienen. Edition A liegt mir im Moment vor und ist mit der Überschrift "Politik 1963 – 1972" betitelt. Edition B beschäftigt sich mit dem Thema "Politik & Kultur 1963 – 1969". Die erste Edition beinhaltet elf Interviews in voller Länge. Dazu gehörten Gespräche mit Ludwig Erhard, Konrad Adenauer, Gustav Heinemann, Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Willy Brandt, Rudi Dutschke, Helmut Schmidt und Rudolf Augstein. Zu Herbert Wehner und Franz Josef Strauß befinden sich gleich zwei Gespräche in dieser Box mit jeweils vier Jahren Abstand, was aufgrund dieses Zeitunterschieds besonders interessant ist. Allein schon an den eben erwähnten Persönlichkeiten kann man erahnen, welche Themen in den Interviews angesprochen werden und wie spannend sie sind. Die jeweiligen Gespräche gehen sowohl auf die Vergangenheit der Personen ein, als auch auf damals aktuelle Geschehnisse und Pläne. So wird man erstaunt sein, wenn man Vorurteile über Personen wie Strauß anhand dieser Interviews abbaut oder wie manche Äußerungen erstaunlich korrekt den weiteren Verlauf der Politik und der Gesellschaft beschreiben.

Gerade die damalige Zeit war etwas ganz besonderes. In den 60er Jahren wurde die Mauer gebaut, Deutschland war zerstückelt, der Kalte Krieg war allgegenwärtig und wie es politisch und gesellschaftlich weiter geht, wusste niemand. Schließlich stand ein großer Umbruch bevor und jeder, egal welchen politischen Flügel er angehörte, wollte nur das Beste für die Menschheit. Aufgrund des einzigen Gesprächspartners, des dunklen Hintergrundes, des fehlenden Publikums und der intensiven Interviews wird man kaum abgelenkt und konzentriert sich als Zuschauer auf das Wesentliche. Nur aufgrund der Mode, der Art der Gespräche, der Inhalte und einigen kleinen Eigenarten der damaligen kann man zuordnen, in welcher Zeit die Interviews aufgenommen wurden. So sieht man beispielsweise fast alle Interviewpartner rauchen und auch die eigenwillige Aussprache von Gaus (z.B. das "st") mag heutigen Zuschauern ein wenig befremdlich vorkommen.


Die elf Interviews haben eine Gesamtspielzeit von knapp 575 Minuten, das heißt dass die einzelnen Interviews jeweils eine Länge von 40 bis 70 Minuten haben. Das Bild ist erstaunlich klar, jedoch bekommt man immer wieder digitale Fehler zu sehen, die zwar ein wenig stören, aber das Sehvergnügen kaum mindern. Der Ton ist sauber und die Gespräche sind gut zu verstehen. Die fünf Scheiben sind in einer Digipak-Verpackung untergebracht, die sich wiederum in einem Schuber befindet. Die Aufmachung der DVD-Box ist sehr schlicht und nicht zu vergleichen mit Mainstream-Produktionen, aber gerade deshalb auch etwas ganz besonderes. Man hat sich sichtlich Mühe gegeben die Box ansprechend zu gestalten, so findet man auf der Rückseite der Digipak-Verpackung einen Text von Manfred Bissinger über Günter Gaus. Auf den Innenflügel der Verpackung sind jeweils die Personen abgebildet, die man im Rahmen der Interviews zu sehen bekommt, außerdem ist das jeweilige Datum des Interviews mit angegeben und im welchen Rahmen und für welchen Sender sie stattfanden. Auch eine Vorschau auf Edition B mit den dazugehörigen Informationen ist zu finden. Wenn man alle Flügel der Verpackung aufgeklappt hat, bekommt man die einzelnen DVDs zu Gesicht, die leider alle gleich gestaltet sind. Lediglich die Beschriftungen sind anders. Wenn man die Scheiben aus ihren durchsichtigen Halterungen nimmt, kriegt man auf der Innenseite der Verpackung durch die Halterung hindurch ein weiteres Mal genau das Motiv zu sehen, was auch auf den DVDs abgedruckt ist. Lediglich der Schriftzug "Wir bitten zu berücksichtigen, dass die Bildqualität dem damaligen Stand der Technik entspricht" wurde ergänzt. Untertitel oder ein Beiheft mit Biographien zu den jeweiligen Personen sowie sonstige Extras hätte diese Edition wundervoll abgerundet, jedoch hätte dies den Rahmen gesprengt. Schließlich handelt es sich um eine Veröffentlichung, die leider nur wenig Publikum finden wird, aus diesem Grund muss man froh sein, dass diese Interviews überhaupt auf DVD veröffentlicht wurden. Der hohe Preis dieser Box ist mit dieser kleinen Nachfrage zu begründen, außerdem mit der Tatsache, dass ein Teil der Erlöse dem Writers-In-Prison-Kommittee zur Verfügung gestellt wird.


Bei dieser DVD-Box handelt es sich also nicht um ein Produkt, dass man mal auf die Schnelle kauft und dann nur halbherzig konsumiert, sondern um ein Stück Zeitgeschichte, dessen Wert man zu Schätzen wissen sollte und das man als eine Art mediales Nachschlagewert sehen sollte. Hier kommen Staatsmänner der damals jungen Bundesrepublik zu Wort, die man damals wirklich noch Staatsmänner nennen konnten und die sehr ausführliche und spannende Gespräche führten, die heute noch ebenso interessant und spannend sind wie damals. Vielleicht sogar noch mehr, weil man heute weiß, wie die Geschichte weiter gegangen ist und so viel besser die damalige aber auch heutige politische und gesellschaftliche Situation besser verstehen lernt.


Wertung: 8 von 10 Punkten

Autor: Sebastian Kuboth

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