Hi,
da ich mich an die zurückliegenden, teils tiefgründigen Diskussionen hier im Forum gerne zurückerinnere, wollte ich anlässlich des gestrigen Films mal wieder am Forumleben teilnehmen
Der Film spaltet, keine Frage. Er spaltet in zweierlei Form: Zum einen die moralischen Vertreter untereinander, zum anderen die moralischen Vertreter gegenüber den Verfassungsverfechtern. Ich habe in dieser Angelegenheit einen äußerst ausgewogenen Blick: Zum einen als gelehrter der Jurisprudenz mit dem Schwerpunkt des Staats-und Verfassungsrechts, zum anderen als stets hinterfragendem und kritischen Menschen.
Ich nehme meine Entscheidung vorweg: Ich plädiere für nicht schuldig. Ich möchte meine Sichtweise, die mich dazu verleitet, auch gerne erläutern.
Es wurde in der Gesprächsrunde ein richtiger und treffender Ansatz eingebracht: Wir sollten und dürfen das Grundgesetz nicht als "von Gott gegeben" betrachten. Es haben Menschen verfasst, und zwar so verfasst, dass es dem Menschen dient. Das Grundgesetz wurde zu einer Zeit verfasst, in der es solche Konstellationen nicht zu regeln galt. Diesem Problem steht man aber heute gegenüber. Artikel 1, die Würde des Menschen sei unantastbar, hat Ewigkeitscharakter. Es ist somit unveränderbar. Ob unter Berücksichtigung einer heutigen Sicherheitslage damals auch so entschieden worden wäre ? Oder ob die Würde nähert definiert worden wäre ? Man weiß es nicht. Fakt ist nur eins: Kein Mensch sollte glauben jede erdenkliche Möglichkeit regeln zu können. Aus diesem Grunde ist Recht auch nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen (dies wird einem Jura-Studenten bereits zu Beginn des 1. Semesters verdeutlicht).
Man sollte Recht und Gesetz nicht als geschlossenen Kreis betrachten, indem alles erdenkliche geregelt wird. Wir erfahren stets, dass die Lebensumstände Recht und Gesetz verändern. Ebenso hat sich auch eine Verfassung an die Lebensumstände anzupassen. Es muss deshalb Auswege geben. Auswege für übergesetzliches. Der sog. übergesetzliche Notstand - so umstritten er auch ist. Er hat insbesondere unter Berücksichtigung dieser Fallproblematik definitiv seine Daseinsberechtigung. Recht und Gesetz darf Menschen nicht in Ketten legen sondern es soll das Leben miteinander im positiven Sinne regeln.Wo es diesem Zweck im Weg steht, muss es Anpassungsmöglichkeiten geben. Bei einer solch übergeordneten Thematik argumentativ auf die Stufe zu stehen "Es ist halt so" ist vollkommen verwegen.
Ich möchte auch auf einen anderen Ansatz noch eingehen: Es wurde und wird kritisiert, die Tragödie hätte u.U. noch durch Eingreifen des Piloten oder der Passagiere verhindert werden können - wer weiß das schon ? Der Kampfjet-Pilot konnte sich dem nicht sicher sein. Das ist selbstverständlich richtig. Wo zieht man die Grenze ? Polizeibeamte haben zum Beispiel Ermessensspielräume. Es gibt einen sog. finalen Rettungsschuss.Wie ist dieser zu bewerten ohne "Leben gegen Leben abzuwägen" ? Man kann damit argumentieren, dass dieser sich gegen einen Täter und nicht gegen Opfer richtet. Gibt es einem dennoch das Recht, möglicherweise zu töten ? Rechtlich betrachtet ist dies durch die Nothilfe gegeben. Wenn man aber das Grundargument der "Schuldsprecher" heranzieht, müsste es grundlegend für alle Fälle gelten. Leben darf nicht gegen Leben abgewogen werden. Ein Täter verliert seine Würde nicht durch eine Tat. Folglich müsste man ihn gewähren lassen. Ob das so richtig ist ? Man darf es anzweifeln.
Ein äußerst treffendes Argument ist meines erachtens nach das der Hilflosigkeit des Staates. In derartigen Situationen offenbart der Staat seine Handlungsunfähigkeit. Er suggeriert einem Attentäter: Wenn Du es schaffst, ein Flugzeug in deine Gewalt zu bringen und diese Gewalt aufrecht zu erhalten, kann Dich der Staat an der Planvollendung nicht hindern - nur behindern. Ein fatales Signal. Wir haben keine Lösung für ein Problem.
Im übrigen macht der Film auch eines deutlich: Das Gesetz der Deutschen ist nicht das Gesetz der Menschen. Wenn man also über Moralvorstellungen streitet, sollte man immer im Blick haben, dass andere Länder (wie z.B. die USA) in einer solchen Angelegenheit vollkommen anders entscheiden. Ebenso ist unser Recht mit Blick auf die Bill of Rights und Napoleons Code Civil nicht unabhängig von anderen Rechtsauffassungen. Das also komplett isoliert zu betrachten halte ich für verfehlt.
Ich hoffe, ich konnte meine Denk-und Sichtweisen verständlich darlegen...
Beste Grüße