Beiträge von Carry Klips

    Ja, das scheint so zu sein. Einige Kommentatoren scheinen sich besonders an der zeitgeschmacksbedingten Integration (ganz typisch für den frühen deutschen Tonfilm!) von ein paar operettenhaften Gesangseinlagen sehr gestört zu haben; aber dennoch kann ich nicht begreifen, wie man die außerordentliche Darstellung Wohlbrücks so komplett ignorieren kann. Das ist neben "Maskerade" ganz sicherlich seine beste Leistung in seiner deutschsprachigen Periode; und ich würde mich nicht scheuen, sie zudem in einem Atemzug mit seinen großartigen Performances in "The Red Shoes" oder "Le Plaisir" zu nennen.

    Zur Ergänzung: Ich finde es immer sehr schade, dass bei diesem Film oft nur die eigene Zielsetzung Galeens selber zitiert wird und dann noch ein paar zeitgenössische Kritiken. Das scheint mir der Grund dafür zu sein, dass der Film heute immer noch ein gewisses Schattendasein führt, weil er den Touch hat, lediglich einen unantastbaren Klassiker neu aufgewärmt zu haben. Was der Film an Eigenem bringt, geht auf diese Weise vollständig verloren.

    Da bin ich völlig deiner Meinung; noch mehr allerdings gilt das für die dritte Verfilmung des Stoffes, diesmal als Tonfilm, "Der Student von Prag" (1935) in der Regie von Artur Robison. Robison ist ja heute vor allem bekannt als Regisseur des expressionistischen Stummfilmklassikers "Schatten", aber auch seine Version des "Studenten" hat durchaus noch Einflüsse des expressionistischen Weimarer Kinos; trotzdem sind die Unterschiede zu den Fassungen von Wegener und Galeen ganz offensichtlich. Denn Robisons Fassung betont noch weitaus mehr die 'Innenwelt' des Protagonisten, so sehr, daß es teilweise bewußt unklar bleibt, ob Balduins Erlebnisse wirklich 'real' sind. Und viel mehr als Wegener und Veidt ist der Balduin von Adolf Wohlbrück ein durchaus arroganter, dandyhafter junger Mann und es scheint vielmehr der Doppelgänger zu sein, der den 'eigentlichen', 'guten' Balduin verkörpert.


    Aber trotz dieser völlig anderen Gewichtung, der brillianten Verkörperung der Rolle durch Wohlbrück und der exzellenten Regie ist dieser Film noch viel unbekannter als die Galeen-Version (zum letzten Mal im Fernsehen gelaufen irgendwann in den früher 1980ern!) und ist mindestens ebenso einer Restaurierung und Wiederentdeckung wert.

    Was Reinhardt angeht, sind das schon sehr, sehr viele Künstler. Mir kommt es vor, dass es schwieriger ist, jemanden zu finden, der nicht bei ihm gelernt hat, als umgekehrt.

    Ich hatte aufgrund deines Posts vorhin nochmal die wikipedia-Einträge zweier der für mich interessantesten, aber trotzdem weniger bekannten Regisseure der Zeit gecheckt, nämlich Arthur von Gerlach und Leopold Jessner, und ich hätte ganz sicher vermutet, daß beide irgendwie mit Reinhardt in Verbindung gestanden hätten. Es zeigte sich da dann aber das Gegenteil: Gerlach hatte, so scheint's, gar keine Beziehung zu Reinhardt, und Jessner scheint sogar so eine Art 'Rivale' gewesen zu sein. Damit will ich aber natürlich den monumentalen Einfluss Reinhardts nicht kleinreden; ich fand's nur interessant, daß es da offenbar auch noch ein paar 'unabhängige' Größen gegeben hat.

    . Was ich mit "nicht entscheiden" meine, ist zum Beispiel der Tod von Frau und Tochter. Es wird kurz gezeigt, wie sie umgebracht werden, wobei fast alles von Zwischentiteln erklärt wird. Entsetzen und Tod werden in einer kurzen Szene angedeutet. Dann fällt das Thema völlig unter den Tisch. Irgendwann kommt ein Zwischentitel, dass der Ehemann seine Trauer beim Grab erlebt. Es wird kurz das Grab gezeigt. Fritzi Massary taucht da schon auf. Dann erklärt ein Zwischentitel alles über das Werben und das Nachgeben bzw. die Zustimmung zur Hochzeit. Und ein Bild visualisiert kurz die Hochzeit. Das einzige, was die Bilder inhaltlich zu diesem ganzen Strang beitragen, ist, dass Kayssler von dem Tod erfährt und die beiden Toten findet und kurz zu Boden geht. Das ist alles. Da war man schon um die Wende des Jahrzehnts deutlich weiter. Ich habe gestern noch "Genuine" (1920) gesehen. Da ist das ganz anders. Und Asta Nielsens "Hamlet" wird genau wegen dieser Titellastigkeit kritisiert. Das waren jetzt zwei Beispiele.

    Ich hab' eben noch mal kurz diese Sequenz gesehen und nehme das nach wie vor anders wahr. Da wird doch an Zwischentiteln nur gesagt: "Rächt unsere Männer! Nieder mit Allan!", letzteres noch mal einzeln wiederholt. Klar, das hätte man auch ohne Text verstanden, aber so - ebenfalls wieder wie bei sowjetischen Filmen - wird die Botschaft quasi 'eingehämmert', die Spannung intensiviert. Das muß man nicht mögen, aber wenn man deine Beschreibung liest, dann könnte man glauben, da gäbe es jetzt einen ewig langen Zwischentext, der mir erklärt, daß die Frauen wutentbrannt auf die Jagd nach Allans Frau und Tochter gehen und diese dann im Affekt töten. Und genau so was hab' ich natürlich in anderen Stummfilmen schon erlebt, und da nervt es mich auch.


    Daß bei diesem Film dann trotzdem einiges mittels Zwischentitel 'gerafft' erklärt wird und man das Werben zum Beispiel nicht ausführlich sieht könnte eventuell auch daran liegen, daß es sich hier um eine Literaturverfilmung handelt und vielleicht nicht zu viele Ereignisse aus dem Roman wegfallen sollten (oder der Film übermäßig lang sein sollte). Da muß dann halt manches einfach mal 'erklärt' werden. Asta Nielsens "Hamlet" habe ich jetzt nicht in Erinnerung, aber da's ja eben die Verfilmung eines ausgesprochen langen Shakespeare-Stücks ist, könnte ich mir die Titellastigkeit dort ebenso erklären.


    Was die Bedeutung Reinhardts angeht (der ja selbst zwei sehr gelungene Stummfilme gedreht hat in den 1910ern!), bin ich völlig deiner Meinung. Ich weiß allerdings nicht, welche Regisseure bei Reinhardt angefangen haben (außer Murnau); die Zahl der Schauspieler ist allerdings wirklich Legion....

    Hmm... hab' ihn mir eben aufgrund deiner Kritik auch noch einmal angeschaut und bin überwiegend doch noch immer meiner ursprünglichen Auffassung. Was in die 20er weist, sind vor allem die 'Massenszenen', also etwa die Aufnahmen in der Börse, aber vor allem auch die 'Unter-Tage'-Sequenzen; beides erinnert allerdings weniger an das deutsche Kino der 20er Jahre, sondern wohl viel mehr an das sowjetische. Aber auch davon abgesehen fand ich erstaunlich, wie gut Wauer mit der räumlichen Tiefe umgeht: gleich am Anfang die Einstellungen im Opernhaus, wo man den Blick zwar überwiegend auf die eine Loge konzentriert findet, aber dennoch gleichzeitig die Reaktion der in der gegenüberliegenden Loge verbliebenen Person mit überraschender Tiefenschärfe zu sehen bekommt. Eine ähnliche Situation dann später bei dem Angriff der Massen auf das Hauptquartier der 'Tunnel-AG'. Das wird bei der Szene im Gebäude auf mehreren räumlich klar differenzierten Ebenen gezeigt (was man heutzutage wohl hocheffektiv in 3D drehen würde). Ich finde das für 1915 halt ziemlich weit voraus, und weil es auch sonst eigentlich immer etwas Interessantes zu sehen gibt, kann ich auch deine Kritik an den 'Längen' des Scripts so nicht teilen; ebenso hatte ich nicht den Eindruck, daß die Erklärungen der Zwischentitel über das übliche Maß hinaus gingen. Klar, ein Carl Mayer-Script wäre da weitaus sparsamer gewesen, aber das war eben auch in den 20ern noch die absolute Ausnahme.

    Fantastische Neuigkeiten, in der Tat! Von den dort erwähnten Harry Piel-Stummfilmen war mir eigentlich nur bekannt, daß "Rivalen" noch existiert; daß es "Reiter ohne Kopf", "Das Teufelsauge" , "Das Gefängnis auf dem Meeresgrund" und "Der Verächter des Todes" noch gibt, ist mehr als erfreulich.


    Eigentliches Ereignis ist aber natürlich die Restaurierung des frühen Lilian Harvey-Films "Die keusche Susanne" :love:

    Dann laß mich nur noch anfügen, daß diese 'exotischen' Rollen natürlich, wie du sagst, aus heutiger Sicht zwar eigenartig aussehen, aber mich stört das eigentlich eher wenig, da's eben ein sehr stilisierter Spielfilm ist und kein Film mit 'realistischem' oder gar dokumentarischem Anspruch. Und im Zweifelsfall finde ich Lil Dagover auch immer noch glaubwürdiger als 'Japanerin' als Sylvia Sidney in derselben Rolle in "Madame Butterfly" von 1932 (mit Cary Grant!), den ich aber ebenfalls sehenswert finde.

    Ich hab' den Film vor einiger Zeit mal sehen können und war ausgesprochen angetan. Spannender Plot und sehr überzeugende Regie (William Wauer) und dem meisten, was sonst so im Kaiserreich produziert worden ist, deutlich voraus. Kaum zu glauben, daß der von 1915 ist und nicht aus den frühen 20ern. Und die neue Restaurierung sieht erwartungsgemäß klasse aus und hat wieder einen Klavier-Soundtrack vom unermüdlichen Richard Siedhoff.

    . Lil Dagover als japanisches Mädchen gibt sich auch alle Mühe, aber sie bleibt halt Lil Dagover.

    Was ich absolut als Vorteil empfinde ;) . Aber klar, ich teile deine generelle Einschätzung, denke aber dennoch, daß der Film gerade aufgrund seines Exotismus und den entsprechenden 'visuals' auch heute eigentlich noch recht gut funktioniert und handwerklich bereits sehr gut gemacht ist; insofern finde ich ihn eigentlich weitaus interessanter und sehenswerter als die anderen 'unbekannten' frühen Lang-Filme "Das wandernde Bild" und "Vier um die Frau", die mich beide nicht besonders aufregen. Und für Lil Dagover-Fans ist "Harakiri" halt eh unverzichtbar :)

    Absolut! Ich würde da aber eigentlich nicht von einer Exportfassung sprechen wollen; ist es nicht vielmehr so, daß die Italiener einfach die normale deutsche Version genommen haben und sie bloß italienisch synchronisiert haben (übrigens angesichts des Jahres 1931 auf erstaunlich professionelle Weise)?

    Neu auf der Vimeo-Seite des Filmmuseums:


    "Mutter Krausen's Fahrt ins Glück" von Phil Jutzi (1929)


    https://vimeo.com/410967266


    Es ist dieselbe Restaurierung, die vor ein paar Jahren auf arte lief, aber jetzt natürlich ohne Logo und in voller HD-Qualität.



    Und vor allem: es gibt einen neuen Piano-Soundtrack von Joachim Bärenz; man muß also nicht mehr die schreckliche pseudo-experimentelle Jazzmusik der arte-Fassung ertragen :)