Terror - Ihr Urteil

  • Heute Abend zeigt das Erste einen Film, auf dessen Ausgang die Zuschauer Einfluss nehmen können.


    Dabei geht es um einen Soldaten, der vor Gericht steht, weil er ein Flugzeug abschießen ließ, das Terroristen in ihre Gewalt gebracht haben und auf ein Fußballstadion steuern wollten, in dem sich 70.000 Menschen befanden. Bei der Aktion wurden 164 Insassen der Maschine getötet.


    Die Frage lautet: Darf man Menschen töten, um andere Menschenleben zu retten? Wovon hinge nun unser eigenes Leben ab? Kann man das moralisch verantworten? Und auch juristisch?


    Nach dem Film wird bei "Hart aber fair" abgestimmt und dann die entsprechende Schlussszene gezeigt.


    Ich werde mir den Film wahrscheinlich nicht ansehen, aber interessant ist es allemal. Und ich kann euch jetzt schon sagen, dass ich weder der Soldat noch der Richter sein möchte, der das zu entscheiden hat. Letzterer dürfte sich nicht von Emotionen leiten lassen dürfen, sondern nur von Fakten. Und er muss wissen, dass, egal wie er entscheidet, Menschen mit richterlicher Billigung zu Tode kommen.


    Mehr dazu hier

  • Ich kenne den Fall nur zum Teil. Das Sendeprinzip finde ich interessant. Zum Thema selbst kann ich wenig sagen. Es ist halt ein altes und moralisch schwieriges Thema. Die Tatsache, dass er entgegen einen Befehl gehandelt hat (so steht es in meiner TV-Zeitschrift - wobei ich immer dachte, dass er die Befehlsgewalt hatte vor Ort - oder hat man sich nur an den realen Fall orientiert und das im Fernsehen ist eine abgweandelte Geschichte?), lässt mich ein Voraburteil fällen. Denn wenn er Befehlsempfänger ist in so einer Angelegenheit kann er ja nicht wissen, ob nicht bei den Befehlshabern ein Wissen vorhanden ist, das über sein wissen hinaus geht und er so durch das Umgehen des Befehls nicht einen anderen Plan zunichte macht.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Das ändert natürlich alles. Hier stellt sich aber die Frage nach dem Gewissen. Bei Beamten gibt es dafür den sogenannten Remonstrationsvermerk, in welchem der Beamte schriftlich festhalten kann, dass er die Anweisung seines Vorgesetzten nur ausführt, weil er muss. Gleichzeitig meldet er aber Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der Anordnung an. Der Vorgesetzte muss davon Kenntnis nehmen. Ob es das auch bei Soldaten gibt, weiß ich allerdings nicht.


    Ein realer Fall ist das wohl nicht, das wäre uns nicht entgangen.

  • Gut, dann ist das fiktiv. Ich habe nur auf dem Foto in der TV-zeitschrift gesehen, dass der angeklagte wohl "Koch" heisst. Gab es in Afghanistan nicht auch einen deutschen Offizier namens "Koch", der verurteilt wurde, wegen eines ähnlichen Falls. Ein Fußballstadion wars dann in dem Fall natürlich nicht. Habe nur das sofort miteinander in Verbindung gebracht.


    Das mit dem "Remonstationsvermerk" finde ich sehr interessant- war mir so bislang nicht bekannt.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Ach, du meinst den Luftangriff auf Kundus. Zwei Tanklaster, die von den Taliban entführt worden waren, wurden durch NATO-Flugzeuge bombardiert, um die 100 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Der anfordernde Soldat hieß Klein (vielleicht ist die Ähnlichkeit der Namen gewollt).


    Es wurde Anzeige nach dem Völkerstrafgesetz (VStGB) von mehreren Personen erstattet, doch der Generalbundesanwalt stellte das Verfahren mangels hinreichendem Tatverdachts ein. 2015 hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde dagegen nicht zur Entscheidung angenommen, wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg. Herr Klein ist weiter in Amt du Würden.


    Quelle


    Noch 'ne Quelle

  • Hi,


    da ich mich an die zurückliegenden, teils tiefgründigen Diskussionen hier im Forum gerne zurückerinnere, wollte ich anlässlich des gestrigen Films mal wieder am Forumleben teilnehmen :)


    Der Film spaltet, keine Frage. Er spaltet in zweierlei Form: Zum einen die moralischen Vertreter untereinander, zum anderen die moralischen Vertreter gegenüber den Verfassungsverfechtern. Ich habe in dieser Angelegenheit einen äußerst ausgewogenen Blick: Zum einen als gelehrter der Jurisprudenz mit dem Schwerpunkt des Staats-und Verfassungsrechts, zum anderen als stets hinterfragendem und kritischen Menschen.


    Ich nehme meine Entscheidung vorweg: Ich plädiere für nicht schuldig. Ich möchte meine Sichtweise, die mich dazu verleitet, auch gerne erläutern.


    Es wurde in der Gesprächsrunde ein richtiger und treffender Ansatz eingebracht: Wir sollten und dürfen das Grundgesetz nicht als "von Gott gegeben" betrachten. Es haben Menschen verfasst, und zwar so verfasst, dass es dem Menschen dient. Das Grundgesetz wurde zu einer Zeit verfasst, in der es solche Konstellationen nicht zu regeln galt. Diesem Problem steht man aber heute gegenüber. Artikel 1, die Würde des Menschen sei unantastbar, hat Ewigkeitscharakter. Es ist somit unveränderbar. Ob unter Berücksichtigung einer heutigen Sicherheitslage damals auch so entschieden worden wäre ? Oder ob die Würde nähert definiert worden wäre ? Man weiß es nicht. Fakt ist nur eins: Kein Mensch sollte glauben jede erdenkliche Möglichkeit regeln zu können. Aus diesem Grunde ist Recht auch nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen (dies wird einem Jura-Studenten bereits zu Beginn des 1. Semesters verdeutlicht).


    Man sollte Recht und Gesetz nicht als geschlossenen Kreis betrachten, indem alles erdenkliche geregelt wird. Wir erfahren stets, dass die Lebensumstände Recht und Gesetz verändern. Ebenso hat sich auch eine Verfassung an die Lebensumstände anzupassen. Es muss deshalb Auswege geben. Auswege für übergesetzliches. Der sog. übergesetzliche Notstand - so umstritten er auch ist. Er hat insbesondere unter Berücksichtigung dieser Fallproblematik definitiv seine Daseinsberechtigung. Recht und Gesetz darf Menschen nicht in Ketten legen sondern es soll das Leben miteinander im positiven Sinne regeln.Wo es diesem Zweck im Weg steht, muss es Anpassungsmöglichkeiten geben. Bei einer solch übergeordneten Thematik argumentativ auf die Stufe zu stehen "Es ist halt so" ist vollkommen verwegen.


    Ich möchte auch auf einen anderen Ansatz noch eingehen: Es wurde und wird kritisiert, die Tragödie hätte u.U. noch durch Eingreifen des Piloten oder der Passagiere verhindert werden können - wer weiß das schon ? Der Kampfjet-Pilot konnte sich dem nicht sicher sein. Das ist selbstverständlich richtig. Wo zieht man die Grenze ? Polizeibeamte haben zum Beispiel Ermessensspielräume. Es gibt einen sog. finalen Rettungsschuss.Wie ist dieser zu bewerten ohne "Leben gegen Leben abzuwägen" ? Man kann damit argumentieren, dass dieser sich gegen einen Täter und nicht gegen Opfer richtet. Gibt es einem dennoch das Recht, möglicherweise zu töten ? Rechtlich betrachtet ist dies durch die Nothilfe gegeben. Wenn man aber das Grundargument der "Schuldsprecher" heranzieht, müsste es grundlegend für alle Fälle gelten. Leben darf nicht gegen Leben abgewogen werden. Ein Täter verliert seine Würde nicht durch eine Tat. Folglich müsste man ihn gewähren lassen. Ob das so richtig ist ? Man darf es anzweifeln.


    Ein äußerst treffendes Argument ist meines erachtens nach das der Hilflosigkeit des Staates. In derartigen Situationen offenbart der Staat seine Handlungsunfähigkeit. Er suggeriert einem Attentäter: Wenn Du es schaffst, ein Flugzeug in deine Gewalt zu bringen und diese Gewalt aufrecht zu erhalten, kann Dich der Staat an der Planvollendung nicht hindern - nur behindern. Ein fatales Signal. Wir haben keine Lösung für ein Problem.


    Im übrigen macht der Film auch eines deutlich: Das Gesetz der Deutschen ist nicht das Gesetz der Menschen. Wenn man also über Moralvorstellungen streitet, sollte man immer im Blick haben, dass andere Länder (wie z.B. die USA) in einer solchen Angelegenheit vollkommen anders entscheiden. Ebenso ist unser Recht mit Blick auf die Bill of Rights und Napoleons Code Civil nicht unabhängig von anderen Rechtsauffassungen. Das also komplett isoliert zu betrachten halte ich für verfehlt.


    Ich hoffe, ich konnte meine Denk-und Sichtweisen verständlich darlegen...


    Beste Grüße

    »Um sich selbst ins richtige Licht stellen zu können, muss man die anderen in den Schatten stellen.«
    (Gerhard Uhlenbruck, *1929, deutscher Immunbiologe und Aphoristiker)

  • YEAAAHHHH!!! Willkommen zurück Keeper! Auf eine gute Zeit. Es würde mich sehr freuen, wenn Du hier öfters mal wieder rein schauen würdest :) Der erste Beitrag nach über 5 Jahren! Immer wieder schön, alte Hasen hier zu sehen.


    Meine Schwiegereltern haben den Film geschaut und waren ganz begeistert. Sie schauen aber viel TV-Filme. Ich bin bekanntermaßen immer sehr skeptisch was TV-Filme angeht. Aber wie geschrieben, das Grundkonzept ist in jeden Fall interessant. Zumal das eine alte moralische Frage ist, die hier behandelt wurde.


    Vielen Dank für Deine Ausführungen. Sehr interessant und auch schlüssig. Ich kenne den gesamten Sachverhalt nicht, deswegen kann ich nicht viel dazu schreiben. Zumal ich von den Schwiegereltern schon gesagt bekommen habe, dass da sehr viele Facetten des Falls im Rahmen des Films aufgezeigt wurden und von beiden Seiten gute Argumente kamen.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Wie würde ich als Offizier entscheiden, wenn ich wüßte, daß Familienmitglieder in der Maschine sitzen?
    Ein Zuschauerin bemerkte schon richtig, daß es bei der "Landshut" Entführung ähnlich war - auch hier wurde eine Einzelperson geopfert - nämlich Schleyer.


    Oder diese Perversität, die im letzten Jahrhundert häufiger geschah:
    Geiseln sollen erschossen werden - dann meldet sich ein Entführer und gibt sich "gnädig"
    "Es müssen nicht mehr alle erschossen werden, sondern nur einer - die Geiseln selbst sollen sich entscheiden und jemanden aussuchen".


    Ich möchte solche Entscheidungen nicht treffen - und dann noch unter Zeitdruck.
    Nicht so wie Richter und Staatsanwälte, die sich wochen-oder monatelang mit dem Fall beschäftigen können und genügend Zeit zur Abwägung haben


    Hinzufügen möchte ich noch, daß das Urteil womöglich auf die Sympathiewerte des Angeklagten zurückzuführen sind.
    Wäre Martin Semmelrogge in der Rolle des Piloten, gäbe es womöglich ein anderes Urteil

    "Wir müssen mit den Realitäten wirtschaften und nicht mit Fiktionen"

    (Bismarck 1853)



    2 Mal editiert, zuletzt von Bruno ()

  • Ja es ist eine extrem schwierige Frage, eine der Schwierigsten, die es gibt. Und im Grund ist ein richtiges Urteil nicht möglich (außer man muss eines Fällen, dann muss man eben abwägen).


    Denn es gibt ja auch den christlichen Standpunkt "Du sollst nicht töten" und in dem man das Flugzeug abschießt, tötet man. Während man bei einem nicht-abschuss nicht 100%tig wissen kann wie es sich entwickelt. Auch wenn die Chancen auf geringere Verluste fast gleich 0 sind natürlich.


    Ich muss öfter mal im Alltag an den Film "Das zweite Gesicht" mit Macaulay Culkin denken. Den Hintergrund im Film ist hier nicht relevant. Es gibt am Ende jedoch eine Szene, als zwei Kinder fast eine Klippe herunter stürzen, die Mutter kann beide Kinder noch fassen, sie hängen aber in der Luft und die Mutter liegt oben auf einem Absatz. Und kann es nicht schaffen, beide Kinder hochzu ziehen um beiden Kindern das Leben zu retten. Sie MUSS eines los lassen, um das andere retten zu können.... unmenschlich solche Entscheidungen...

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius