Die goldene Stadt (D, 1942)

  • Ich stelle grade fest, dass es gar keinen Thread zu dem zweiten deutschen Farbspielfilm Die goldene Stadt (1942, Regie: Veit Harlan) gibt - darum eröffne ich mal einen.
    Ich halte den Film für einen der besten Harlan-Filme - neben Der große König, Kolberg und Der Herrscher, den ich kürzlich zum ersten Mal sah. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen der 30er/40er Jahre, die heute für jüngere Zuschauer stark antiquiert und "verstaubt" wirken, hat Die goldene Stadt ein zeitloses Thema, das - auch durch die packende Umsetzung und die glänzenden schauspielerischen Leistungen - sehr fesselnd umgesetzt wurde.
    Auf DVD ist leider nur die gekürzte Fassung aus den 50er Jahren erschienen :(


    Dazu stieß ich gerade auf eine unwahrscheinlich blöde Kritik zu diesem Film:
    http://www.gwick.ch/film42/film42goldene.html#DVDrome


    Hier liest man etwa:

    Zitat

    "Die Stadt ist die Antithese der staatlichen Blut-und-Boden-Ideologie. Die bäuerliche Hoffamilie wird in einem mythologischen und völkischen Vokabular dargestellt als Bastion der Volksgemeinschaft."
    "
    Der Mythos von Blut und Boden bestimmt den Film, das großdeutsche Reich wird abgefeiert."
    "
    Veit Harlan hatte sich bereits im März 1933 in einem Interview im «Völkischen Beobachter» offen zum Nationalsozialismus bekannt. Im Film sah er die beste Möglichkeit dem System ideologisch zu dienen, weshalb er 1934 ins Filmgeschäft einstieg, das er in den folgenden Jahren als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent entscheidend mitprägte."
    "
    In dieser kürzeren Fassung, die von den übelsten verhetzenden Szenen befreit wurde, ist Veit Harlans Werk jetzt auf DVD erschienen. Eine vollständige Version wäre auch kaum veröffentlichbar, da sie beschlagnahmt würde."

    So viel Blödsinn wie hier von Stefan Dabrock verzapft, las ich selten zu diesem Film:
    - Die bäuerliche Hoffamilie ist also eine Bastion der Volksgemeinschaft, obwohl der Vater die Tochter unterbrückt und damit eigentlich das Drama in Gang setzt - und dann anschließend auch noch eine - anscheinend - Tschechin zur Frau nehmen will!
    - Das Großdeutsche Reich wird in dem Film nicht einmal erwähnt - es gibt keine Flaggen und keine Uniformen zu sehen. Gefeiert wird hier gar nichts, erst recht nicht abgefeiert!
    - Veit Harlan hat also nur deswegen begonnen, Filme zu machen, weil er für das Dritte Reich Propaganda machen wollte. Auch das ist neu - eine Harlan-Biographie von Stefan Dabrock scheint mir lange überfällig zu sein!
    - Eine vollständige Version würde also unweigerlich beschlagnahmt werden? - Das kann auch nur jemand behaupten, der sich nie die Mühe gemacht hat, der Frage nachzugehen, was überhaupt geschnitten wurde... X(


    Über soviel Dumpfheit verzweifelt man...

  • Ja, ich habe da zweimal hingeschaut. Ich denke es ist im Sinne von "sinnlich" gemeint. Es ist spannend zu sehen, welche Worte bzw. Wortkombinationen die Leute damals verwendet haben. Im Selben Zitat heißt es z.B. auch, dass der Film "vorgespielt" wurde - das würde man heute so auch nicht mehr sagen/schreiben. Selbst damals haben das sicher nur wenige so genannt.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Ein längst überfälliger Schritt ist nun erfolgt: der zweite abendfüllende deutsche Agfacolor-Spielfilm "Die goldene Stadt" wurde für 2021 ins Förderprogramm Filmerbe mit einer Fördersumme von 75.650,63 € DM aufgenommen. Antragsteller ist die Murnau-Stiftung mit dem Antragsgrund "§ 9 Kuratorisches Interesse aus filmhistorischer Sicht" der "Gemeinsamen Förderrichtlinie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Länder und der Filmförderungsanstalt zur Digitalisierung des nationalen Filmerbes" https://www.ffa.de/foerderentscheidungen.html


    Der Film ist seit langem nurmehr in einer schlechten und verstümmelten Fassung zugänglich. Für die Wiederaufführung 1954 im Gloria-Filmverleih wurde "Die goldene Stadt" wie folgt gekürzt:

    DFV 07.08.1942: 3004 Meter = 109'48 (24 B/S) bzw 105'24 (25 B/S)

    Gloria 27.09.1954: 2855 Meter = 104'21 (24 B/S) bzw 100'10 (25 B/S)

    Videomaster: 2838 Meter = 103'44 (24 B/S) bzw 99'35 (25 B/S)


    Differenz 1942 zu 1954: 149 Meter = 5'27 (24 B/S) bzw 5'14 (25 B/S)

    Differenz 1942 zu Video: 166 Meter = 6'04 (24 B/S) bzw 5'49 (25 B/S)


    Auch der Vorspann wurde verändert und neu gestaltet. Die bisher technisch hochwertigste Fassung wurde am 05.01.1995 aus Anlass von "100 Jahre Film" einmalig auf Südwest 3 ausgestrahlt. Sie war der Video- und DVD-Fassung durch ein weniger stark eingezoomtes Bild, eine höhere Abtastqualität und ungefilterten Ton überlegen; entsprach inhaltlich aber ebenso nur der gekürzten Fassung.


    In Sachen Farbqualität sind wohl keine Wunder mehr zu erwarten, wurde doch das originale Nitro-Kameranegativ im Zuge der lange geübten, vorsätzlichen und grob verantwortungslosen Kassationspraxis des Bundesarchivs noch 1999 (!) ohne Not (!) vernichtet:


    So ist, wie Anna Bohn berichtet, das originale, nicht in Zersetzung befindliche Negativ von DIE GOLDENE STADT im Jahr 1999 vernichtet worden. (Bohn, Anna: Denkmal Film. Band 2: Kulturlexikon Filmerbe. Köln: Böhlau 2013, S. 142)

    https://web.archive.org/web/20…g-durch-das-bundesarchiv/


    Es ist mir schleierhaft, wie die Murnau-Stiftung als Rechteinhaber dies zulassen und verantworten konnte.


    Fraglich bleibt, ob mit Abschluß der Restaurierung - zwei Jahre werden da nun bestimmt ins Land gehen - dann zumindest die ungekürzte Fassung endlich für eine objektive Neubewertung des Films öffentlich zugänglich wird. Ich habe da gewisse Zweifel, hoffe aber, dass der Film ohne neuerliche geschichtsklitternde Zensureingriffe dann wenigstens im Ausland seinen Weg auf Blu-Ray findet.


    Hat jemand jemals die ungeschnittene Fassung gesehen und kann Infos zu den Kürzungen geben?

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    Fraglich bleibt, ob mit Abschluß der Restaurierung - zwei Jahre werden da nun bestimmt ins Land gehen - dann zumindest die ungekürzte Fassung endlich für eine objektive Neubewertung des Films öffentlich zugänglich wird. Ich habe da gewisse Zweifel, hoffe aber, dass der Film ohne neuerliche geschichtsklitternde Zensureingriffe dann wenigstens im Ausland seinen Weg auf Blu-Ray findet.


    Hat jemand jemals die ungeschnittene Fassung gesehen und kann Infos zu den Kürzungen geben?

    Das ist zumindest teilweise eine gute Nachricht, der Film bleibt auf jeden Fall erhalten. Über die Zerstörung des Negativs braucht man kein Wort zu verlieren, das kann eigentlich nur Absicht gewesen zu sein, ansonsten wäre es bodenlose Dummheit.


    Was allerdings eine Veröffentlichung im Ausland angeht habe ich leise Zweifel, denn Stand jetzt sind sowohl "Immensee" als auch "Opfergang" im Ausland nicht erschienen. Aber wer weiß, vielleicht wird der Film ja doch in Deutschland veröffentlicht. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

  • Das ist zumindest teilweise eine gute Nachricht, der Film bleibt auf jeden Fall erhalten. Über die Zerstörung des Negativs braucht man kein Wort zu verlieren, das kann eigentlich nur Absicht gewesen zu sein, ansonsten wäre es bodenlose Dummheit.


    Was allerdings eine Veröffentlichung im Ausland angeht habe ich leise Zweifel, denn Stand jetzt sind sowohl "Immensee" als auch "Opfergang" im Ausland nicht erschienen. Aber wer weiß, vielleicht wird der Film ja doch in Deutschland veröffentlicht. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

    Es passt nicht 100%ig in diese Diskussion, aber ich hatte es in meinem letzten Beitrag erwähnt und poste es daher hier. In den USA sind vor kurzem "Immensee" und "Opfergang"/"The Great Sacrifice" auf BluRay veröffentlicht worden, wie es scheint sogar mit einem neuen Kommentar.


    Vielleicht bedeutet das wirklich, dass, wenn auch mit Verzögerung, "Die Goldene Stadt" dann irgendwann zumindest im Ausland veröffentlicht wird und auf diesem Weg den Weg zu uns findet. Bei "Paracelsus" scheint es ja auch so zu funktionieren, wenn auch leider nur als DVD und nicht als BluRay.

  • Hat jemand "Die goldene Stadt" auf dem Cinefest gesehen und kann etwas dazu berichten?


    Aus der folgenden Pressemitteilung geht hervor, dass die bisher bekannte Fassung auf dem Exportnegativ beruht. "Beide Originalnegative gelten heute als verschollen" - da laut Anna Bohn 1999 im Bundesarchiv Negativmaterial vorsätzlich vernichtet wurde, kann man die Formulierung in dieser Pressemitteiliung nicht mehr als "Euphemismus" durchgehen lassen sondern muss sie als faustdicke Lüge bewerten. Zu dem alternativen Schluss gibt es also keinen Ton mehr.


    https://www.murnau-stiftung.de/node/6565

  • Hat jemand das Buch "Bohn, Anna: Denkmal Film. Band 2: Kulturlexikon Filmerbe. Köln: Böhlau 2013" zur Hand und kann den kompletten Wortlaut zur "Goldenen Stadt", S. 142-146 hier wiedergeben?


    Ich habe hier file:///D:/Eigene%20Dateien/Downloads/43936-Artikeltext-141430-1-10-20180103-1.pdf noch folgendes dazu gefunden:


    „Auch das deutsche Filmerbe, hat Karsten Witte früh prophezeit, müsse irgendwann einmal angetreten werden. Er meinte damit die Zeit von 1933 bis 1945, zu deren Beginn die Einrichtung des Reichsfilmarchivs erfolgte. Dieses Archiv entwickelte sich zum Ende des Krieges (und damit seinem eigenen Ende) hin durch fortwährende „aktive Bestandserweiterung“ (I, 111), sprich: Beschlagnahmungen in besetzten Ländern, zur „größte[n] Filmsammlung der Welt“ (I, 134), zu einer weltweit „singulären[n] Erscheinung“ (I, 140). Bohn gibt Hinweise darauf, dass hier konservatorisch durchaus weitsichtiger vorgegangen wurde als im Fall späterer, sogenannter „wilde[r] Sammlungen“ (I, 175); die riesigen Bestände wurden nach 1945 verstreut; in vielen Büchern, heute in Spezialsammlungen aufbewahrt, findet sich der Stempel des RFA. Diese Bücher (und analog Filme) dokumentieren, geht man individuellen Schicksalen über eine von Bohn ins Spiel gebrachten Provenienzforschung nach, über Inhalte hinaus die allgemeine Geschichte des 20 Jahrhunderts; so finden sich neben den Exlibris sehr früher Sammlungen auch Stempel, also Existenzabdrücke der DDR. Genauso entwickeln Filme ihre eigene Lebensgeschichte – über die Suche nach einem kunsttheoretisch geprägten „Archetyp“ (II, 96) oder den „letzten Willen des Autors“ (II, 290) hinaus.

    Dies akzeptiert, ist für Bohn ein Skandalon, dass in Deutschland nach wie vor Original-Negative vernichtet werden. Grund dafür ist die leichte Entflammbarkeit von Nitrofilm, der erst seit 1950 durch Umkopierung auf Azetat abgelöst ist. Der ersten „Kassationswelle“ nach der Umstellung auf den Tonfilm erfolgte bis in die jüngste Vergangenheit die „verordnete Vernichtung“ von Originalmateralien von Klassikern wie „Metropolis“ und „Berlin - die Sinfonie der Großstadt“. Umkopieren ist keine Lösung, gehen doch auch damit Indizien der Perforation oder des Montagevorganges verloren. Bohn schlußfolgert: „Die Geschichte der Verluste durch systematische Kassation von filmischen Originalmaterialien ist bislang nicht aufgearbeitet und bleibt ein Forschungsdesiderat “ (Zitate I, 22ff). Eklatant wird dies bei Filmen, die neben ihrem historischen Wert auch ein Politikum darstellen, wie in dem von Bohn dargelegten Fall „Die Goldene Stadt“ (D 1942, Veit Harlan; vgl II, 142–146). Der deutlich ideologische Film war nach dem Krieg von der alliierten Militärzensur verboten, erhielt 1952 (mit einer Schnittauflage) die Freigabe durch die FSK, wurde gekürzt veröffentlicht und wird heute als Kauf- DVD, nicht aber in einer kritisch kommentierten Edition vertrieben. Noch 1999 hat man im Bundesarchiv 24 Rollen an originalem Bild- und Tonnegativ des Films „kassiert“, das heißt auf vorhandener Rechtsgrundlage der Vernichtung zugeführt. Nimmt man die eigenartige Farbwirkung des frühen Agfacolor aber zur Kenntnis und stellt die gut dokumentierte Verkaufsstrategie des deutschen Farbsystems in zahlreichen werbenden Publikationen der Zeit in Rechnung, wird man mit Bohn bedauern, dass dem „intrinischen Wert“ der originalen Substanz kein Überlieferungswert beigemessen wurde. Damit lässt sich die jüngst wieder aufgeflammte Diskussion um die sogenannten Vorbehaltsfilme (vgl Felix Moellers Film Verbotene Filme, D 2012) noch einmal pointieren: Käme jemand auf die Idee, Tagebücher von NS-Größen oder Skizzen prominenter NS-Künstler zu vernichten, nachdem man sie digital ‚gesichert‘ hat?“

  • Habe mal die alte Fassung parallel zur neuen laufen lassen. Innerhalb dieser ersten Minuten gibt es keine geschnittenen Szenen.


    Aber man sieht grundsätzlich sehr gut, dass es zwei völlig unterschiedliche Fassungen sind und dass die Expotrtfassung (bisher bekannte Fassung) die Zweitkopierer / schwächeren Takes enthält.

  • Folgendes essentielles Begleitmaterial vermisse ich in der Ankündigung:


    Zum Ersten:


    Es existiert ein ca. 12-minütiger 16mm-s/w-Schmalfilm von Fritz Hartmann, der die Dreharbeiten zu "Die Goldene Stadt" dokumentiert. Einige Ausschnitte daraus wurden am 05.01.1995 auf Südwest 3 innerhalb des zweiten Teils der TV-Dokumentation "Die Lust an der Farbe" von Harald Pulch und Martin Lopierdinger gezeigt:


    https://www.filmportal.de/film…3df0545d78c908c0fdb7a7389

    https://www.bundesarchiv.de/be…en%2Ffilme%2Fsearchresult









  • Zum Zweiten:


    Um Kameraleute, Beleuchter und Techniker für den Umgang mit Agfacolor zu schulen, wurde ein farbiger Ufa-Ausbildungsfilm produziert, der die Technik und die Schwierigkeiten des frühen Agfacolor sehr schön veranschaulicht. Ausschnitte wurden ebenfalls am 05.01.1995 auf Südwest 3 innerhalb des zweiten Teils der TV-Dokumentation "Die Lust an der Farbe" von Harald Pulch und Martin Lopierdinger gezeigt; im Anschluß lief dann zum ersten und einzigen Mal "Die goldene Stadt" im deutschen Fernsehen zum Anlass von "100 Jahre Film".


    Leider werden der genaue Titel und das Produktionsjahr in dieser Doku nicht genannt (ich schätze 1941/42) und ich habe bis heute nicht herausbekommen, wie der Film genau heißt. Da es sich um einen internen Schulungsfilm handelt, scheint er auch in dieser Aufstellung zu fehlen: https://www.filmportal.de/site…nofilme_chronologisch.pdf


    Wer kennt den genauen Titel und weitere filmographische Angaben des Films? Kann jemand Personen auf den Fotos identfizieren?