Kameradschaft (D, 1931)

  • Ich habe mir gestern G. W. Pabsts Kameradschaft angesehen und bin ganz überrascht, dass hier noch kein Thema dazu im Forum ist. Deshalb mache ich gleich eins auf, um meine Meinung dazu loszuwerden ;)


    Der Film lief in Frankreich unter dem Titel La Tragédie de la mine in den Kinos und ist eigentlich ein französisch-deutscher Spielfilm, weil große Passagen von französischen Darstellern auf Französisch gesprochen werden. Dass in der Originalfassung keine Untertitel angeboten werden, macht auch Sinn, denn hier geht es ja um eine internationale Solidarität unter der Arbeiterschaft, jenseits sprachlicher Grenzen. Insofern nimmt einen der Film dann in diese Situation mit hinein.


    Ich möchte hier gleich mit meinem einzigen Kritikpunkt anfangen. Das bezieht sich aber eigentlich nur auf ein Problem, das man bei den frühen Tonfilmen häufig hat, nämlich dass bei gesprochenen Passagen der Unterschied zwischen wirklich routinierten guten Darstellern wie Fritz Kampers oder Alexander Granach und unausgebildeten oder weniger talentierten wie Adolf Fischer schon sehr deutlich wird. Ich könnte mir vorstellen, dass das vor allem technische Gründe hat, weil die damaligen Mikrofone so wenige Sprechnuancen zugelassen haben und man so laut reden musste. Ansonsten finde ich aber, dass Pabst den Ton sehr kreativ und gut eingesetzt hat. Es gibt keinerlei durchhängende Stellen. Immer da, wo der Ton fehlt, tritt das Bild in die Lücke. Die Kamera ist sowieso sehr gut eingesetzt, und wir haben an keiner Stelle abgefilmtes Theater. Sowohl Ton, als auch Bild unterstützen die Botschaften, die der Film vermitteln will. Ich finde auch, dass es einige hervorragende Darstellerleistungen gibt, vor allem, wenn man im Hinterkopf behält, dass die einzelnen Charaktere relativ wenig Konturen besitzen und stark typisiert sind.


    Eine weitere Stärke sind auch die Aufnahmen, die zum Teil in Zechen in Gelsenkirchen entstanden (bzw. Lens und Béthune) und zum Teil Studioaufnahmen waren. Wobei diese Studioaufnahmen zu keinem Moment eine Studioatmosphäre besitzen, sondern (soweit ich das beurteilen kann) sehr realistisch die Situation in der Mine zum Ausdruck bringen und somit auch nacherlebbar machen. Mich persönlich spricht auch die pazifistische Botschaft des Films sehr an. Ich finde sie sehr überzeugend umgesetzt, und das zwiespältige Ende, als die Grenze zwischen den alten Feinden, Franzosen und Deutschen, wieder errichtet wird, ist in der Geschichte leider allzuoft bestätigt worden und wird das in Zukunft auch immer wieder werden. Das heißt aber nicht, dass solche Filme überflüssig sind, denn sie weisen auf das hin, was wichtig ist, und das tut auch Kameradschaft, der zudem eine Alternative bietet, die auch jenseits einer Solidarität der Arbeiterschaft umsetzbar ist.


    Ich persönlich kann mit Karl Marx zwar nicht so wahnsinnig viel anfangen, aber dem Film kann man das natürlich nicht anlasten ;), zumal seine zutiefst humanistische Botschaft meiner Meinung nach den Film über solche Zweifel hinaushebt. Man muss sich auch immer vor Augen halten, welche geistesgeschichtlichen Hintergründe betont werden und welche nicht. Das wird leider viel zu häufig versäumt, weshalb man Vorwürfe macht, die den Film überhaupt nicht betreffen.


    Und das bringt mich auch schon zu zwei Kritikpunkten, die ich gelesen habe, und auf die ich auch noch eingehen möchte. Zum einen habe ich gelesen, dass die Charakterzeichnung der Darsteller zu wenig konturiert sei und sie deshalb zu wenige individuelle Züge haben. Dass es sich hier um Typisierungen handelt, ist zwar richtig, ist aber kein Versäumnis von G.W. Pabst, sondern es ist eine konsequente Umsetzung des Gedankenguts von Karl Marx. Er sieht die Arbeiterschaft als Ganzes und nicht das einzelne Individuum. Und auch Karl Marx hat das nicht selber erfunden, sondern das von seinen eigenen Quellen übernommen. Ich kann da auf Ludwig Feuerbach verweisen, der in seinem atheistischen Ansatz von "dem Menschen" als Teil eines Ganzen spricht, der an die Stelle eines erfundenen Gottes treten muss, auf den er seine positiven Eigenschaften projiziert hat. Insofern ist dieser Vorwurf nicht stichhaltig.


    Der zweite Vorwurf ist der, dass die starke Betonung einer internationalen Solidarität der Arbeiterschaft aus heutiger Sicht etwas naiv anmutet. Aber auch hier muss man auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Films verweisen, den Pabst umsetzen will. Und wenn man bedenkt, wie schnell man heutzutage mit dem Begriff 'Solidarität' bei der Hand ist, wenn er gerade gebraucht wird und das ohne ihn gesellschaftswissenschaftlich abzusichern, finde ich den Vorwurf der Naivität nicht gerechtfertigt, sondern definitiv zu fortschrittsoptimistisch. Meiner Meinung nach sollte man den Film hier weniger als Zustandsbeschreibung (die von der Geschichte natürlich oft widerlegt wurde) sehen, sondern als Appell. Die emotionale Kraft dazu besitzt er definitiv.


    Und um ein Fazit zu ziehen: Insgesamt gesehen finde ich, dass Pabst mit Kameradschaft in vielerlei Hinsicht ein Kunstwerk gelungen ist, das ohne Zweifel in die erste Reihe der deutschen Filmerrungenschaften gehört, selbst wenn man seinen Aussagen nicht oder nicht vollständig zustimmt. Wie gesagt, mit Karl Marx kann ich persönlich auch nicht so wahnsinnig viel anfangen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er zu den einflussreichsten Denkern der letzten 200 Jahre gehört.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

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