• Ich habe jetzt SCHERBEN (1921) von Lupu Pick gesehen. In den Hauptrollen Werner Krauss, Edith Posca, Hermine Straßmann-Witt und Paul Otto. Kleines Schmankerl: Der Regisseur ist gegen Ende hin selbst in einer kleinen Rolle zu sehen.

    Es handelt sich um den ersten deutschen Kammerspielfilm, und er hat auch deutlich expressionistische Elemente, v.a. in diversen Szenen mit Edith Posca. Ich kann den Film jedem hier nur wärmstens ans Herz legen. Es ist ein "echter" Stummfilm. Das liegt nicht nur daran, dass er nur einen einzigen Zwischentitel hat, der auch in das Filmbild eingebaut ist, sondern eine eigene in sich geschlossene Welt darstellt, in die man mit Beginn des Films eintritt. Für mich ist das einer der Filme, die einem ihren ganz eigenen Eindruck mitgeben, sodass man sie auch danach nicht einfach zu den Akten legt. Ich war gleichzeitig von der Atmosphäre des Films gefangen, als auch immer in einer gewissen beobachtenden Distanz.

    Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich die relativ zurückhaltende Bewertung bei imdb mit 6,5 Punkten nicht nachvollziehen kann. Vielleicht liegt das daran, dass der Film noch nicht so richtig entdeckt ist.

    Neben seiner atmosphärischen Dichte kann der Film meiner Meinung nach auch mit den Darstellern punkten. Neben Werner Krauss ist das vor allem Edith Posca, die ihre nicht einfache Rolle hervorragend meistert und nie in übertriebene Stummfilmtheatralik umkippt (Es kann zwar auch sein, dass da Friedrich Weinmann an der Kamera einiges abfängt, aber das müssen Fachleute beurteilen.) Und auch Paul Otto ist sehr gut.


    Man sieht der Kopie deutlich an, dass sie nicht restauriert ist, aber mich hat das nicht gestört. Da stimme ich sisterandi absolut zu.


    Wie schon ein paarmal erwähnt wurde, umweht den Film natürlich auch noch in zweiter Hinsicht eine gewisse Tragik. Edith Posca beendete 1923 ihre Filmkarriere und zog sich ins Privatleben zurück. Wenige Monate nach dem relativ plötzlichen Tod von Lupu Pick nahm sie sich 1931 das Leben.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

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  • Zitat

    Es kann zwar auch sein, dass da Friedrich Weinmann an der Kamera einiges abfängt, aber das müssen Fachleute beurteilen.

    Nein! Müssen sie nicht ;) Ich habe mir vorgestern SCHERBEN noch einmal angesehen. Edith Posca muss ich wirklich Abbitte leisten: Was sie bietet, ist tatsächlich eine großartige Leistung. Ihre Rolle hat sehr viele unterschiedliche Facetten: So ist sie zum Beispiel die Tochter, die Teil der eintönigen Alltagswelt des Bahnwärters ist, dann die Geliebte des Inspektors, die verzweifelte Abgewiesene... Und Siegfried Kracauer bringt den Moment als sie von der Mutter in der Kammer des Inspektors entdeckt wird, genau auf den Punkt: "Die Tochter ist nicht nackt, aber sie wird nackt durch die Mutter" (zit. n. Brennicke/Hembus, Die Klassiker des deutschen Stummfilms (München, 1983), S. 216). Die Tochter beobachtet und durchlebt das Auseinanderbrechen ihrer Welt, und zum Schluss verfällt sie langsam dem Wahnsinn. Also ganz viele unterschiedliche Nuancen, die Edith Posca zu jedem Zeitpunkt exakt zum Ausruck bringt. Ihr Körper, ihre Blicke... Alles ist kontrolliert und nicht einen Moment überzogen, sondern immer punktgenau gesetzt. Ein Überspielen hätte sich ja gerade gegen Ende hin durchaus "angeboten".

    Edith Posca ist dem hervorragenden Werner Krauss absolut ebenbürtig. Was das bedeutet, kann man zum Beispiel erkennen, wenn man sich zum Vergleich ORLAC'S HÄNDE anschaut, wo eine weibliche Hauptdarstellerin, Alexandra Sorina, gegenüber einem großartigen Hauptdarsteller, Conrad Veidt, deutlich abfällt, weil sie die expressionistischen Anforderungen ihrer Rolle nicht so prägnant umsetzen kann.

    Schade, dass der Film seinen Klassikerstatus, den er schon einmal hatte, mittlerweile verloren hat. Er scharrt geradezu mit den Hufen, wieder entdeckt zu werden :)

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)