Ressel Orlas Schicksal - ein Spiegelbild der Weimarer Republik?

  • Ressel Orla ist vor allem durch ihre sehr ungewöhnliche Rolle als Lio Sha in Fritz Langs Die Spinnen bekannt geworden. Auf Grund einer "schweren Krankheit", die nie genauer definiert wird, musste sie ihre Karriere beenden. 1931 starb sie verarmt in einem Berliner Krankenhaus. Hier ist ein Nachruf, interessanterweise mit dem Titel "Glanz und Elend der Filmstars" (Spalte 3) Offenbar mussten ihre Freunde sogar Geld zusammensuchen, damit eine Beerdigung bezahlt werden konnte.

    http://anno.onb.ac.at/cgi-cont…2&ref=anno-search&seite=4

    Ich finde ihn aus unterschiedlichen Gründen sehr interessant. Zum einen deutet er darauf hin, dass die früheren Stummfilmstars mit dem Aufkommen des Tonfilms sofort vergessen wurden und nicht erst über die Jahre, wie man ja eigentlich annehmen würde. Und außerdem gab es im Deutschen Reich seit Bismarck eigentlich eine Krankenversicherung. Okay, Ressel Orla war Österreicherin, aber zu dieser Zeit dürfte das dort nicht anders gewesen sein, weshalb ich mal ein wenig nachgefragt habe.

    Diese ganzen Systeme haben in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 vollkommen versagt. Der Staat war de facto bankrott, so dass ohnehin nur noch das Notwendigste an Leistungen finanzierbar war. Darüber hinaus galt der Schutz aus der Krankenversicherung damals nur für diejenigen, die tatsächlich noch in der Lage waren, Beiträge zu bezahlen. Somit ist das tragische Schicksal Ressel Orlas durchaus typisch für das katastrophale Elend dieser Zeit.

  • In diesem Zusammenhang finde ich auch diese Postkarte hochinteressant, die ich vor einiger Zeit mal ersteigert habe. Sie stammt wohl aus dem Jahr 1917, wo sie noch am Anfang ihrer Karriere stand und eine eigene Produktionsreihe plante. So wie ich den Text lese, ist das eine Antwort auf eine Jobanfrage oder etwas Ähnliches, und sie verweist auf ihre eigenen Filmproduktionen, die sie für die Zeit nach dem Krieg plant. Der Text ist voller Tatendrang und drückt eine Aufbruchsstimmung aus, die das krasse Gegenteil von dem darstellt, was in ihrem Nachruf steht.

    Deswegen finde ich ihn sowohl biographisch, als auch historisch hochinteressant, weil da die Gegensätze der Weimarer Republik so ungefiltert zum Ausdruck kommen.


    Kleine Info am Rande: Ganz spannend für Autogrammsammler ist auch ihre Signatur, die leider ein wenig von einem Fleck verdeckt ist: Es ist der einzige Fall, der den Sammlern, die ich kenne, untergekommen ist, wo sie tatsächlich als 'Resel Orla' unterschreibt und nicht mit Doppel-s als 'Ressel Orla'. 'Resel' oder 'Resl' steht zwar als Vorname auf manchen Autogrammkarten von ihr, aber unterschrieben hat sie so nie.

  • Austernprinzessin

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  • Das wäre ja beinahe ein Politik-Thema. ;)


    Ich vermute mal, dass auch Künstler nicht sozialversicherungspflichtig waren. In Deutschland wurde erst vor wenigen Jahren eine Pflicht für alle zur Krankenversicherung, privat oder bei einer Kasse, eingeführt, von der auch erstmals wir Beamten betroffen waren. Denn für mich zahlt Vater Staat nur die Hälfte meiner Kosten; aber jetzt macht er das nur, wenn ich eine Krankenversicherung nachweisen kann.


    Wenn Ressel Orla zu Beginn ihrer Karriere so viel Erfolg hatte, dass sie davon auch ihre Krankheitskosten hätte bezahlen können, konnte sie sich die Versicherung zunächst sparen. War sie später verarmt, konnte sie sich die Beiträge nicht mehr leisten. Das war seit jeher eine Lücke im Gesundheitssystem, und ich weiß nicht, inwieweit sie in Deutschland mittlerweile geschlossen ist. Aber in der damaligen Zeit war nicht daran zu denken.


    Dann kommt der technische Fortschritt dazu. Dass es irgendwann man Tonfilme, Farbfilme und Filme in HD geben könnte, wer hätte das ahnen können? Wenn ich heute so überlege, was technisch ermöglicht wurde. Was immer noch aus der "guten alten Zeit" übrig ist: Wer weiß, ob es alle Zeit Bestand haben wird.


    Man denkt nicht dran, aber das erklärt nicht, warum die Stummfilmakteure nicht einfach in den Tonfilm eingestiegen sind. Hat man ihnen nicht zugetraut, dass sie auch sprechen können? Einige hatten vielleicht sogar eine so markante Stimme, die nun besser hätte zum Ausdruck hätte kommen können. Bei Hans Moser, der auch zunächst Stummfilme drehte, hat das wunderbar geklappt. Was wäre uns verloren gegangen, hätte es den Tonfilm nicht gegeben.


    Austernprinzessin: Ich weiß ja, dass du Ossi Oswalda liebst. Weißt du denn, wie ihre Stimme geklungen hat?


    Zudem kommt, dass damals nicht so viel archiviert wurde. Stars aus den 1950ern bis 1990ern, die in der Versenkung verschwanden oder nicht mehr leben, kennt man heute trotzdem noch. Auch hier ermöglichte das der technische Fortschritt. Der geht sogar so weit, dass heutzutage Helene Fischer mit Elvis Presley im Duett singen kann.


    Insofern ist das schon eine typische Biografie für eine Zeit wie die Weimarer Republik. Wenigstens die Autogrammkarten und einiges andere auf Papier gebannte ist übrig geblieben, so dass Ressel Orla nicht ganz in Vergessenheit gerät. Ich kannte sie nicht, darüber zu lesen, ist dennoch interessant.

  • Quote

    Man denkt nicht dran, aber das erklärt nicht, warum die Stummfilmakteure nicht einfach in den Tonfilm eingestiegen sind. Hat man ihnen nicht zugetraut, dass sie auch sprechen können? Einige hatten vielleicht sogar eine so markante Stimme, die nun besser hätte zum Ausdruck hätte kommen können. Bei Hans Moser, der auch zunächst Stummfilme drehte, hat das wunderbar geklappt. Was wäre uns verloren gegangen, hätte es den Tonfilm nicht gegeben.

    Der Tonfilm ist auf alle Fälle ein umwälzendes Ereignis gewesen, und es ist eindeutig, dass sehr viele Karrieren beendet waren und neue begonnen haben. In dem Zusammenhang wird immer wieder darauf hingewiesen, dass viele Schauspieler keine geeigneten Stimmen hatten, bzw. andere sich durch ihre Stimme erst entfalten konnten (z.B. Hans Moser), und ich glaube schon, dass das stimmt. Dazu kommt, dass der Tonfilm eine andere Art des Schauspielens verlangte als der Stummfilm. Diese Umstellung hat viele Darsteller überfordert, oder es ist ihnen sehr schwer gefallen. Asta Nielsen hat zum Beispiel nur einen Tonfilm gedreht und dann ihre Karriere beendet. Auf der anderen Seite sind mittelmäßig erfogreiche Darsteller erst mit dem Tonfilm richtig erfolgreich geworden.

    Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang nicht ganz so oft genannt wird, ist der, dass viele Stars, deren schauspielerische Fähigkeiten begrenzt sind, mit Rollen erfolgreich werden, die dem Typus, den sie darstellen, angepasst sind. Es wird also jede Rolle um sie rum geschrieben. Mit dem Tonfilm waren viele dieser Rollentypen aber veraltet und wurden zusammen mit den Schauspielern aussortiert.

    Außerdem sind erfolgreiche Filmkarrieren ja immer Karrieren auf Zeit. Die meisten Schauspieler schaffen es nicht, ihre Rollenprofile so zu ändern, dass sie sich dem Altern anpassen können. Ich gehe stark davon aus, dass der Tonfilm diesen Effekt noch einmal massiv verstärkt hat, weil auch das Publikum mit den neuen Filmen natürlich neue Gesichter sehen wollten. Das könnte erklären, weshalb die Stummfilmstars so schnell in Vergessenheit geraten sind. Quax hat ja schon mal darauf hingewiesen, dass auch Tonfilmschauspieler nicht unbedingt perfekte Stimmen mitgebracht haben. Ihr Plus könnte aber gewesen sein, dass sie zusammen mit ihren Stimmen neue Gesichter mitgebracht haben, die man sofort mit dem Tonfilm verknüpft hat: also Neues mit Neuem. Ich finde es schon auffällig, von welchen Schauspielern man so wenig weiß: Das sind Namen, die in den 10er Jahren erfolgreich waren und Namen, die unmittelbar vor der Tonfilmzeit praktisch in den Startlöchern standen, aber mit dem Tonfilm sofort wieder von den Besetzungslisten verschwinden.


    Die Stimme von Ossi Oswalda kenne ich übrigens nicht. Sie hat zwar zwei Tonfilme gedreht, aber die habe ich noch nie gesehen.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

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  • Bei Ressel Orla liegt der Fall anders. Sie war eine sehr erfahrene Theaterschauspielerin und soll wohl auch stimmlich sehr gut für den Tonfilm geeignet gewesen sein. Ob sie das geschafft hätte, kann man natürlich nicht sagen, aber sie konnte spätestens seit 1929 auf Grund ihrer schweren Krankheit keine Filme mehr drehen. Und auch davor muss ihre Krankheit ihre Arbeit schon sehr beeinträchtigt haben, denn 1928 hat sie zum Beispiel überhaupt keinen Film gedreht. Deshalb würde es mich schon sehr interessieren, was das für eine Krankheit war, an der sie schließlich gestorben ist und auch wie plötzlich sie aufgetreten ist. Immerhin war sie letzten Endes existenzzerstörend.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

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