Unangemessene Titel von Biographien

  • Nachdem mir bei Dokumentationen schon öfter unangemessene Titel aufgefallen sind, musste ich feststellen, dass es auch bei Biographien in Buchform Titel gibt, die ich als unangemessen, bis hin zu verleugnend bezeichnen würde.


    Dabei handelt es sich um folgende Titel:


    Ferdinand Marian - Ich war Jud Süß
    Den Titel finde ich aus folgendem Grund unfair und gemein: Ferdinand Marian wurde von Joseph Goebbels zu der Rolle des Jud Süß gezwungen. Dafür erhält er nach Kriegsende lebenslanges Berufsverbot, während NS-Politiker die politischen Ämter in der aufstrebenden Bundesrepublik erhalten. Nur ein Jahr nach Kriegsende stirbt er unter ungeklärten Umständen an einem Autounfall. Bis heute weiß man nicht ob es Selbstmord oder Mord gewesen ist. Ferdinand Marian, der ehemals bekannte Filmstar, gerät nun in Vergessenheit. Und dann kommt ein Biograph und schreibt ein Buch über Ferdinand Marian mit dem Titel "Ich war Jud Süß". Als wäre er schuld daran gewesen, dass er an dem Film mitgewirkt hat. Und weshalb muss man Personen, wie Ferdinand Marian, die in einem Jahr ihren Beruf und ihr Leben verloren haben in der Nachwelt und im kulturellen Gedächtnis noch weiter demütigen?


    Filmen für Hitler - Die Karriere des NS-Starregisseurs Hans Steinhoff
    Diesen Titel finde ich aus folgenden Gründen unfair und gemein: Hans Steinhoff arbeitete bereits in der Stummfilmzeit beim Film. Er drehte bereits mit großen Filmstars bevor Hitler 1933 an die Macht kam. Ab 1933 führte Hans Steinhoff Regie bei einigen Propagandafilmen aber auch bei diversen Unterhaltungsfilmen. Er deckt einen vielfältigen Bereich ab unter anderem Komödien, Kriminalfilme, historische Filme, etc...
    Es entspricht zwar der Wahrheit, dass die UFA von der NSDAP aufgekauft wurde, aber das heißt noch lange nicht, dass Hans Steinhoff für Hitler gefilmt hat. Auch im 3. Reich wurden die Filme in erster Linie für das Publikum gedreht. 1945 stirbt Hans Steinhoff, da er, beziehungsweise sein Flugzeug während eines Fluges zwischen Berlin und Prag abgeschossen wird. Nach Kriegsende wird Hans Steinhoff von seinen Künstlerkollegen angefeindet. Man bezeichnet ihn als "sehr schlechten Regisseur", als "größtes Arschloch des Jahrhunderts", und als "Idiot". Solche empörenden und beleidigenden Anfeindungen habe ich von Filmschaffenden noch nie gehört. Und dann bezeichnet ein Biograph ihn auch noch als NS-Starregisseur, um ihn endgültig aus dem kulturellen Gedächtnis zu streichen


    Andererseits muss man aber auch bedenken, dass die Biographen, die diese Bücher verfasst haben, zum Teil Jahrzehntelang geforscht haben und die Lebensgeschichte von den Darstellern der Öffentlichkeit zugänglich machen. Aber hat man deshalb das Recht, den Ruf von großen Persönlichkeiten zu ruinieren, aus welchen Gründen auch immer?


    Was halten Sie/was haltet Ihr davon?
    Wie ist Ihre/Eure Meinung zu dem Thema?

  • Zu Friedrich Knilli muss man sagen, dass er der Ferdinand Marian-Spezialist überhaupt ist. Ich kenne sein Buch und hatte früher ein paarmal Kontakt zu ihm. Er ist selber ein Marian-Fan, aber er hat sich in seinen Forschungen sehr behutsam und sensibel mit Ferdinand Marian auseinandergesetzt. "Ich war Jud Süß" ist keine Anklage oder Demütigung, sondern nimmt das Thema auf, mit dem Ferdinand Marian immer im Gedächtnis bleiben wird. Wer an Ferdinand Marian denkt, denkt automatisch auch an Jud Süß. Das ist damit gemeint. Und damit setzt sich das Buch eben auch auseinander - aber selbstverständlich nicht nur.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Ich kann Nostalgie Fan sehr gut versehen.


    Die Sache ist halt auch die, dass man ein Buch auch verkaufen möchte. Und "Ich war Jud SÜß" ist griffiger und verkauft sich auch besser als "Ferdinand Marian - Sein Leben". Bei "Heinz Rühmann" reicht der Name Rühmann schon, dass es kräftig geskauft wird, bei Leuten wie Ferdinand Marian wissen viele garnicht direkt, wer das ist. Oftmals bestimmen dan auch die Verlage den Titel, da haben die Autoren oft auch nicht viel zu sagen.


    Dennoch bin ich dafür, den Leuten ein würdiges Gedenken zuzugestehen. Und da sind solche griffige Buchtitel oft nicht sehr passend.

    "Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen."


    Konfizius

  • Stimmt schon: Reißerisch ist der Titel allerdings. Ich war zuerst auch ein bisschen überrascht, als ich den Buchtitel gesehen habe und erfahen habe, was tatsächlich drin steht. Aber ich finde diese Kritik ist Friedrich Knilli gegenüber auch nicht ganz fair. Er gibt sich tatsächlich alle Mühe, Ferdinand Marian ein faires Andenken zu bewahren. Und da nützt "Ferdinand Marian - sein Leben" überhaupt nichts, weil dieses Buch dann keiner liest. Der Titel wäre außerdem irreführend. Es geht Friedrich Knilli in erster Linie nicht um eine Biographie, sondern um eine Betrachtung von Ferdinand Marian, die nicht von Vorurteilen geprägt ist. Und das läuft nun einmal über den Film Jud Süß und wird das auch immer tun.
    Ruth Hellberg hat damals am Telefon übrigens sehr negativ über Ferdinand Marian gesprochen, und das hatte überhaupt nichts mit Jud Süß zu tun. Sie war einfach genervt von seiner großkotzerischen Art.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Bei "Heinz Rühmann" reicht der Name Rühmann schon, dass es kräftig geskauft


    Heinz Rühmann ist auch einer der wenigen Schauspieler, die noch relativ unabhängig von ihrer Filmtätigkeit im Dritten Recih betrachtet werden, wobei ich den Eindruck habe, dass sich das zunehmend verändert. Die Dokumentationen betrachten ihn immer mehr unter diesem Aspekt und zunehmend kritischer.


    Hans Albers ist ein anderer Name, der auch recht unabhängig vom Dritten Reich betrachtet wird. Wobei mir in Gesprächen auffällt, dass sein Name zunehmend in Vergessenheit gerät - im Gegensatz zu dem von Heinz Rühmann.


    Das Buch von Hans Steinhoff kenne ich nicht, aber auch er wird ausschließlich in Zusammenhang mit seiner Filmtätigkeit im Dritten Reich betrachtet. Inhaltlich kann ich zu dem Buch auch nichts sagen, aber Hans Steinhoff, Veit Harlan und Leni Riefenstahl sind heute eben Hitlers Regisseure oder NS-Regisseure. Und unter diesem Aspekt müssen sie auch betrachtet werden, wenn man versuchen will, sie von Vorurteilen zu befreien. Wobei ich dir, Nostalgie Fan, natürlich recht gebe: "Scheißregisseur" etc. ist natürlich vollkommen inakzeptabel. Aber auch das waren Aussagen, die eigentlich nur über den "NS-Regisseur" Hans Steinhoff gesagt wurden, also rein polemisch-politische Aussagen.

    Und immer wieder erkenne ich, daß es viel schwieriger ist, ein Publikum vier Lustspielakte zum Lachen zu bringen, als es in einem sechsaktigen Schauerdrama zu Tränen zu rühren. (Ossi Oswalda, 1920)

  • Zitat von Conrad:

    Zitat

    ""Ich war Jud Süß" ist keine Anklage oder Demütigung, sondern nimmt das Thema auf, mit dem Ferdinand Marian immer im Gedächtnis bleiben wird. Wer an Ferdinand Marian denkt, denkt automatisch auch an Jud Süß. Das ist damit gemeint."


    Interessante Sichtweise. So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen, aber ich glaube, Du/Sie hast/haben recht. So kann man wahrscheinlich mehr für diese Menschen tun




    Zitat von Vogel Specht:

    Zitat

    "Oftmals bestimmen dan auch die Verlage den Titel, da haben die Autoren oft auch nicht viel zu sagen. "


    Danke, dass Du mich darauf hingewiesen hast. Das ändert die Gesamtsituation natürlich gewaltig. Da hätte ich jetzt fast schon die Falschen verdächtigt.

  • Was besagt die Vorsilbe "un" ?


    gerecht / ungerecht =


    Was besagt die Vorsilbe "un" ?


    Unrecht, Unfall, Unvermögen, Unglaube, usw

    - Kein Recht, kein Fall, kein Vermögen, kein Glaube


    Als die Bergsteigerin kürzlich starb, weil sie 20 Meter in die Tiefe stürzte, und jede Rettung zu spät kam, war dies kein "Unfall", es war ein Fall von überheblicher "Unsicherheit" (Keine Sicherheit).


    Ein Unfall sollte stets in der ersten Stufe als Mord, in der zweiten Stufe als Selbstmord und erst dann, wenn es keine haltbaren Nachweise gibt, in der dritten Stufe als natürlichen Tod in Folge von Unsicherheit behandelt werden.


    Autounfall des Ferdinand Marian "unter ungeklärten Umständen" ? Es wurde garantiert nur die Natürlichkeit untersucht und auf Grund dessen nichts festgestellt. Gerade die Tatsache, WIE Marian verstorben ist und dass Jud Süß von Wilhelm Hauff stammt (Das kalte Herz), lässt mich fragen, worin die Unangemessenheit liegt? Müssen wir auch heute noch den "Nazis" soviel Macht geben, dass sie uns beuteln obwohl sie längst Geschichte sein sollten? Oder waren sie nie fort und haben lediglich ihre Art und Weise transformiert?