Ich glaube, dass die Wirkung der Exilanten maßlos überschätzt wird. Sie haben de facto kaum bemerktbare Lücken im deutschen Film hinterlassen. Oder diese sind erst im Rückblick auf lange Sicht bemerkbar, wie du das am Beispiel Fritz Lang gezeigt hast. Erstens sind bei weitem nicht alle 1933 gegangen, sondern viele schon vorher und viele nachher, zweitens waren sie alle nicht pausenlos aktiv, und außerdem gibt es sowieso eine ständige Fluktuation in der Filmbranche. In meinen Beiträgen gestern habe ich ja versucht das deutlich zu machen.
Außerdem war das Ziel vieler Filmschaffenden sowieso Hollywood. Deshalb ist auch Marlene Dietrich in die USA gegangen oder Wilhelm Dieterle. Detlef Sierck blieb in Deutschland obwohl er Nazigegner war und emigrierte erst 1937.
Das sehe ich anders. Vielleicht auch schon deshalb, weil ich mich mehr mit dem Kino der Weimarer Republik (inkl der Stummfilme) beschäftige, als mit dem Kino des 3. Reichs. Ich stimme überein, dass es ein schleichender Prozess war, und dass 1933 nach Hitlers Ernennung noch viele sich die Konsequenzen nicht ausmalen konnten, und Hitler unterschätzten. Aber nach dem im März 1933 die NSDAP auf einmal die absolute Mehrheit verfehlte, machte die NSDAP Ernst mit einschneidenen Maßnahmen, wie dem Ermächtigungsgesetz, dem Verbot bzw Auflösung aller anderen Parteien außer der NSDAP, usw. Spätestens nach dem Tode von Reichspräsident Hindenburg 1934 und die Übernahme dieses Amtes auch durch Hitler wurde der Nationalsozialismus Alltag. Über 1500 Filmschaffende verließen Deutschland bis 1939. Das war schon eine Menge. Man darf nicht vergessen, welchen internationalen Stellenwert das Weimarer Kino vor 1933 hatte. Es war international fast auf einer Stufe mit Hollywood. Deutsche Filme liefen in allen Teilen der Welt. Stars wie Lilian Harvey, Brigitte Helm, Willy Fritsch, Harry Piel, Asta Nielsen, usw waren in Rußland oder Südamerika und selbst beim Erzfeind Frankreich ebenso bekannt und Stars wie Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks, Greta Garbo oder Mary Pickford. Wenn ich mir ausmale, wie es gewesen wäre wenn Koryphäen und Talente vor und hinter der Kamera, wie Billy Wilder, Robert Siodmak, E.A. Dupont, Fritz Lang, Max Ophüls, Walter Reisch, Henry Koster, Robert Wiene, Joe May, Richard Oswald, Erich Pommer, Otto Preminger, Fritz Kortner, Peter Lorre, Conrad Veidt, Elisabeth Bergner, Gitta Alpar, Martha Eggerth, Otto Wallburg, Kurt Gerron, usw, usw. in Deutschland geblieben wären, dann hätte das deutsche Kino Hollywood vielleicht irgendwann den Rang abgelaufen. Aber so kehrten diese internationalen Superstars des deutschen Kinos Deutschland den Rücken, und halfen dabei den Ruf und die Macht Hollywoods weiter auszubauen. Leider nicht alle der vorher genannten, denn gerade die beiden letztgenannten Otto Wallburg und Kurt Gerron wurden von den Nazis im holländischen Exil gefaßt und danach im KZ ermordet. Man bemerkt schon einen Unterschied der Filme der Weimarer Republik und der des 3.Reichs. Bis ca 1934 waren die Filme noch sehr vom Weimarer Kino beeinflußt, spätestens ab 1935 wurden die Filme anders. Ich kann es nicht im Detail sagen, was anders ist, aber die Leichtigkeit und Unbekümmertheit, manchmal auch die Naivität des Weimarer Kinos ist weg. Ob, das an dem Verlust der Exilanten liegt, oder am Zeitgeist oder an der zunehmenden Einmischung Goebbels in alle Belange der Filmproduktion ist schwer festzumachen, und am ehesten eine Mischung aus all diesen Gründen. Deshalb denke ich, dass der Verlust der Exilanten schon ein einschneidener Verlust für das deutsche Kino war. Es ging daran nicht zu Grunde, aber es wurde anders, und meiner Meinung nach nicht besser. Hollywood wurde aber besser, dadurch dass auf einmal Billy Wilder, Fritz Lang, Henry Koster, Otto Preminger usw Ihr Talent in dessen Dienst stellten.