Die Geschichte des deutschen Animationsfilms, II. Animation in der Nazizeit.

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Datum: 03.09.2011 | VÖ: 30.09.2011 | Herausgeber: absolut Medien GmbH | Kategorie: Zeichen & Trick

Lange und von manchen sehnsüchtig wurde die DVD-Edition "Animation in der Nazizeit" (absolut medien 2011) erwartet, das Erscheinungsdatum zig Mal verschoben. Nun da die DVD endlich erschienen ist, stellt sich die Frage: Hat sich das Warten gelohnt? Die Antwort muss in diesem Fall auf ein klares Nein hinauslaufen.

Man erhält eine Reihe von Filmen, die zwar hübsch anzusehen, aber überwiegend bekannt und zum Teil bereits auf DVD veröffentlicht sind, und dazu als eine lieblos zusammengestückelte Informationsbroschüre, die zwar 32 farbig illustrierte Seiten enthält, aber den Eindruck erweckt, als hätten sich auf dem Trickfilmgebiet seit der WDR/arte-Produktion "Hitlers Traum von Micky Maus" (Ulrich Stoll / 1999) keine neuen Erkenntnisse eingestellt. Schlimmer noch: Einige Passagen scheinen direkt aus Wikipedia und von anderen Internetfundstellen zu stammen, z. B. die Angabe über die Kurt-Stordel-Trickfilme "Rotkäppchen" und "Zirkus Humsti-Bumsti", die in Wirklichkeit erst in der Nachkriegszeit hergestellt wurden. Da fragt man sich allen Ernstes, welcher arme Praktikant von absolut medien für diese Aufgabe abgestellt wurde. Darüber hinaus ist kaum zu übersehen, dass sich die Macher bei dem Stoll-Film bedient oder zumindest eng daran orientiert haben, denn auch die dort enthaltenen Fehlinformationen finden wir im Booklet dieser DVD wieder. Positiv anzumerken sind die Literaturhinweise und die recht ausführlichen Credits.
Neuentdeckungen, die auf dem Gebiet zweifellos möglich wären, findet man dagegen keine. Wer den Stoll-Film kennt, bietet Ulrich Wegenast lediglich ein angenehmes Aha-Erlebnis und die Möglichkeit, jene Filme zu sehen, von denen in "Hitlers Traum von Micky Maus" nur Ausschnitte zu sehen waren. Dafür bot die damalige arte-Ausstrahlung (Themenabend Zeichentrick im Dritten Reich) immerhin "Die Schlacht um Miggershausen" und "Hochzeit im Korallenmeer" in vollständiger Fassung " die sucht man auf "Animation in der Nazizeit" vergeblich. Die stummen Ausschnitte dieser Filme hätte man sich schenken können! Wer die damaligen arte-Ausstrahlungen besitzt, darf sich also weiterhin glücklich schätzen.
Die einsamen Höhepunkte der Edition bilden die politisch problematischen Farbtrickfilme "Der Störenfried" und "Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt", die man hier erstmals in integraler Fassung und vernünftiger Bild- und Tonqualität zu sehen bekommt.

Die Qualität der weiteren, allseits bekannten Farbtrickfilme " fast sämtlich bei YouTube zu besichtigen " variiert stark. Bei "Armer Hansi" hätte man sich eine weitergehende Bildrestaurierung gewünscht. Die Qualität von "Verwitterte Melodie" ist vor allem zu Anfang eine Beleidigung (sieht aus wie einer VHS gezogen), "Die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. Eine Winterreise", "Das dumme Gänslein" und "Der Schneemann" sind dagegen in Ordnung, wobei der "Münchhausen"-Film bereits als Bonus auf der DVD zum Hans-Albers-Spektakel vorhanden war.

Statt der berühmten abstrakten Werke der Gebrüder Fischinger präsentiert uns Ulrich Wegenast eine stark abgespielte Kopie von Herbert Seggelkes "Strich Punkt Ballet": ein Amateurfilm in der Tradition von Fischinger, der niemals auch nur entfernt dessen Qualität erreicht und von seiner minimalistischen Farbdramaturgie leider wenig zu bieten hat. Zudem vermisst man die Angabe, unter welchen Bedingungen Seggelke den Film herstellte, wie also die Formulierung "Avantgarde im Untergrund" zu verstehen ist, und wann dieser angeblich von 1943 stammende Film vertont wurde.

Der abendfüllende, schwarz-weiße Puppentrickfilm der Gebrüder Diehl "Die sieben Raben" scheint der bereits auf DVD veröffentlichten Fassung zu entsprechen und enthält ebenfalls zahlreiche störende Filmrisse.
Ein Trostpflästerchen stellt Anton Kutters schwarzweißer Realfilm "Weltraumschiff I startet" dar: der faszinierende Ausnahmefall eines utopischen Kulturfilms, der " zufällig? " den ersten bemannten Mondflug mittels Weltraumrakete 30 Jahre nach der NS-Machtergreifung stattfinden lässt. Amüsant auch die politischen Seitenhiebe auf die Westalliierten ("Deutschland will den Mars annektieren!"). Extras gibt es keine.

In der Summe ist "Die Geschichte des deutschen Animationsfilms II. Animation in der Nazizeit" eine Enttäuschung. Hier wurde eine hervorragende Chance vertan, eine historisch-kritische Gesamtschau des Trickfilms in der NS-Zeit vorzulegen. Allein die komplette Ausblendung des Werbefilmbereichs ist vollkommen unverständlich. Dass auf wichtige Filme verzichtet wurde " z. B. die Propagandafilme "Kaufmann, nicht Händler", "Tobis Karikatur Nr. 1" oder "John Bull in Nöten", oder die reizenden Kinderfilme Kurt Stordels ", ist schwer verständlich. Und die kürzlich erst aufgetauchte komplette Kopie des antisemitischen "Van den Vos Reynaerde" hätte wir auch gerne gesehen!
Fazit: Schade! Diese Edition ist eine verschenkte Gelegenheit, über die lediglich "Der Störenfried", "Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt" und "Weltraumschiff I startet" etwas hinwegtrösten. (df)

Wertung: 4 von 10 Punkten (4 von 10 Punkten)

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