Drei Programme sind nicht genug

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Datum: 23.08.2009 | Kategorie: Generation Testbild

Bevor die Privatsender auf Sendung gingen oder am Ort verfügbar waren, sagte man allgemein, dass es in der Bundesrepublik Deutschland drei Programme geben würde. Aus heutiger Sicht erscheinen drei Programme, die zudem einen großen Teil des Tages kein Programm ausstrahlen, wirklich sehr wenig. Ist es doch heutzutage kein Problem, eine dreistellige Anzahl an Sendern oder sogar noch mehr zu empfangen. Aber waren es damals wirklich nur drei Programme, die man zur Auswahl hatte? Wenn man Pech hatte, schon, aber meistens waren es dann doch ein paar mehr. Normalerweise konnte man ARD und ZDF sowie das jeweilige Dritte empfangen. Aber oft waren auch dritte Programme einer benachbarten Region empfangbar. So hatten wir frühen neben unserem Dritten Hessen 3 auch noch Bayern 3 und Südwest 3 und somit insgesamt sage und schreibe ganze fünf Sender. Wohnte man in der Nähe der innerdeutschen Grenze, so konnte man auch die zwei staatlichen DDR-Programme empfangen. Da aber in den 80er Jahren kaum jemand einen Multinorm-Fernseher besaß, konnte man die DDR-Programme wegen der dort verwendeten SECAM-Norm nur in schwarz-weiß betrachten. Aber abgesehen davon waren zu dieser Zeit sowieso noch relativ viele Schwarzweiß-Fernseher in den Wohnzimmern zu finden. Wie groß das Interesse an DDR-Fernsehen im Westen tatsächlich war, darüber ist kaum etwas bekannt. Umgekehrt hat man in der DDR teilweise enormen technischen Aufwand betrieben, um Westsender empfangen zu können.

Neben zusätzlichen innerdeutschen Sendern hatte man vor allem in der Nähe der Landesgrenze auch die Möglichkeit, ausländische Sender zu empfangen. Beliebt waren wahrscheinlich die österreichischen und schweizerischen Fernsehsender, die man in Süddeutschland empfangen konnte. Hier hatte man den Vorteil, dass in der gleichen Sprache gesendet wurde. Die meisten Sender hatte man in der Bodenseeregion, denn dort hatte man Empfang aus Österreich und der Schweiz gleichzeitig. Damals gab es ja häufig noch Fernsehgeräte, die nur acht Programmplätze hatten, das hätte für diese Region teilweise schon nicht mehr ausgereicht.

An anderen Orten waren auch fremdsprachige Empfänge möglich, obwohl man im angrenzenden Ausland nicht immer in der Landessprache gesendet hat. So war und ist es in Benelux und Skandinavien üblich, zu untertiteln anstatt zu synchronisieren. Und wenn man schon kein Interesse daran hatte, niederländisch oder dänisch zu lernen, so konnte man doch anhand der britischen und amerikanischen Filme und Serien, die dort im Original liefen, seine Englischkenntnisse aufpolieren. Sein Englisch konnte man aber auch fernab von der Grenze zu Benelux und Dänemark aufbessern, wenn man das Glück hatte, einen Sender der alliierten Streitkräfte in der Nähe zu haben. BFBS oder AFN waren aber tatsächlich nur an sehr wenigen Orten zu empfangen und es gab außerdem das Problem mit den anderen Sendenormen. Hatte man keinen Multinorm-Fernseher (gab es die in den frühen 80ern überhaupt schon?), musste man eben ein bisschen nachhelfen. So hat jemand in einem Internetforum berichtet, dass man extra einen Techniker beauftragt hat, um einen Konverter in den Fernseher einzubauen, der den Empfang des Tons des britischen Soldatensenders BFBS ermöglichte. Die Englisch-Noten des Sohnes wurden danach schlagartig besser.

Während der Otto-Normal-Zuschauer davon ausging, dass er regelmäßig seine (je nach Wohnort) drei bis zehn Programme sehen konnte und es nicht für nötig hielt, ständig nach anderen Sendern zu suchen, gab es einige, die im Zeitalter vor Kabel und Satellit alles herausholen wollten, was der "ther hergab. Die sogenannten DXer hielten regelmäßig auf allen Frequenzen Ausschau nach Fernempfängen, dazu wurden auf Rotoren installierte, drehbare Dachantennen benutzt. Der Antennenempfang ist wetterabhängig und bei bestimmten Wetterlagen kommt es zu Überreichweiten, man spricht hierbei auch von troposphärischen Überreichweiten. Man konnte an diesen Tagen Sender empfangen, die gewöhnlicherweise nicht zu empfangen waren. Zu Überreichweiten kommt es mehr oder weniger regelmäßig, doch der Durchschnittszuschauer dürfte davon nichts mitbekommen haben. Nur gelegentlich gab es so starke Überreichweiten, dass man sogar im Fernsehprogramm die Zuschauer auf Störungen aufmerksam machte. Herrschten entsprechende Bedingungen und war der Antennenaufwand ausreichend, konnte man etwa weitere dritte Programme aus anderen Regionen empfangen oder ausländische Sender waren bis weit in das Landesinnere zu empfangen. Im Nordwesten Deutschlands kamen auf diese Art auch schon mal Fernsehsender aus England auf die Mattscheibe. Neben diesen wetterbedingten Überreichweiten kommt es besonders im Sommer häufig zu sogenannten ionosphärischen Überreichweiten, die den Empfang von Fernsehsendern aus ganz Europa in Deutschland ermöglichen, wenn auch häufig nur sekunden- oder minutenweise, natürlich auch heute noch. Überreichweiten waren jedoch im Zeitalter des Antennenfernsehens außerhalb von Grenzregionen die einzige Möglichkeit, Fernsehen aus dem Ausland zu Gesicht zu bekommen. Die Masse der Zuschauer dürfte sich aber dafür nicht interessiert haben, es fehlten wohl auch die Kenntnisse über diese Phänomene.

Heute sieht die Situation völlig anders aus. Man kann nicht nur problemlos alle dritten Programme und dazu noch zahlreiche weitere deutschsprachige öffentlich-rechtliche und vor allem private Sender empfangen, auch Sender aus vielen Ländern in vielen Sprachen in Deutschland sehen zu können, ist heute nicht mehr schwierig. Obwohl es leider auch eine gegenläufige Bewegung gibt. Ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Sender vieler europäischer Nachbarländer, die früher per Antenne über ihre Landesgrenze bis weit nach Deutschland hineinstrahlten, sorgen heute dafür, dass man sie außerhalb ihrer Landesgrenzen möglichst nicht mehr empfangen kann. Der Grund dafür sind die Ausstrahlungsrechte von eingekauften Filmen, Serien und Sportereignissen, die deutlich günstiger ausfallen, wenn sie auf das jeweilige Land beschränkt werden. So werden die terrestrischen Sendeleistungen Richtung Deutschland reduziert, die Sender fliegen in den deutschen Grenzregionen nach und nach aus den Kabelnetzen heraus und über Satellit sind diese Sender oftmals verschlüsselt. So können z. B. ORF 1 oder Nederland 3 so gut wie nicht mehr in Deutschland empfangen werden, aber dafür kann man schon mit einer kleinen Schüssel Dutzende italienische Lokalsender oder Unmengen an arabischen Kanälen aus Nordafrika und dem Nahen Osten empfangen. (jh)